Ein Österreicher in Hannover

Der handwerklich exzellente Karikaturist Manfred Deix ist längst akzeptiert als aquarellierender Nestbeschmutzer. Es geht gegen den heuchlerischen Katholizismus, verlogene Politik, bumsfidelen Militarismus und ein unkritisches Verhältnis zur NS-Vergangenheit

Dem Fest der Idealität und der körperlichen Wohlgeformtheit sind alle Figuren entzogen

VON JENS FISCHER

Ein fernes Land vor unserer Haustür. Österreich zum Beispiel. Priester bohren ihre Zungen in Ohr, Mund und Anus der Kollegen; Pädophile werden zum „Kinderpornoschnitzel“-Verzehr geladen; plumpe Männergriffe zwischen Frauenbeinen; dem im Akkord Österreicher zeugenden Mann dehnen Bullenhoden die Hose; Jörg Haider posiert im Domina-Kostüm; ein Gourmettester hat sich ein Brathähnchen auf den Bauch gedolcht, um es zu penetrieren.

Es sind die spießigsten Spießer, die mit glasig-geilen Glubschaugen aus dem Schwulenornat, Ausführung in Lack und Leder, oder aus Trachtenanzügen blicken. Der handwerklich exzellente Karikaturist Manfred Deix ist längst akzeptiert als aquarellierender Nestbeschmutzer, ein Vorzeigekünstler in der österreichischen Paradedisziplin des Selbsthasses – eine Tradition, die man von Karl Kraus, Nestroy, Qualtinger bis Thomas Bernhard ziehen könnte. Caricare wird wörtlich genommen, also kräftig übertrieben, entstellt bis zur Kenntlichkeit. Deix‘ Profession ist es, Leute zu beobachten, um sie, wie er notiert, „auszuspotten, sie nachzuäffen, zu sekkieren und zu schrecken und mit den adäquaten Mitteln der Karikatur eine Art Heimzahlung für ihre Blödheiten zu betreiben“.

Es geht gegen den heuchlerischen Katholizismus, verlogene Politik, bumsfidelen Militarismus und ein unkritisches Verhältnis zur NS-Vergangenheit. Vor allem steht die scheinbare Kulturferne der Alpenländler im Blickpunkt: säufernasige Kretins, die kaum noch von den Würsten zu unterscheiden sind, die sie gierig in sich hineinstopfen. So ist die verfettete Dummdösigkeit durch kein Textil mehr zu kaschieren. Deix bezeichnet sich trotz alledem als „Lustzeichner“. Auch wenn nur noch zwanghaft exhibitionierte Restgeilheit zu entdecken ist.

Lüste reimt sich bei Deix auf Brüste. Selbst an Peter Turrini hängen sie in üppiger Aufgeblasenheit herum, sind klein und spitz bei Alfred Hrdlicka, während Peter Handke nur mit vertrocknet magersüchtigen Exemplaren ausgestattet ist. Andernorts quellen sie in schlapper Überdimensioniertheit in die viel zu engen Bildformate. Dem Fest der Idealität und der körperlichen Wohlgeformtheit sind alle Figuren entzogen. Auch Pathosformel und Accessoires der Verlockung fehlen: keine wehenden Gewänder, wogenden Haare, ausgebreiteten Laken. Stattdessen eine Tragödie der Lust, gemeuchelt in fade bizarren Sex-Ritualen.

Die Tragödie wird hübsch deutlich in der Art, wie Deix sehr viel Nacktheit malt: explizit unerotisch. Die Haut, dieses sensitive Organsystem, mit dem der Mensch seine Umwelt berührt und umgekehrt, kommt hier ohne die deutlich anregenden Rottöne daher, mit wenig glücksleichtsinnigem Leuchtgelb, mit kaum unverschmutzt genussvollem Orange. In der Kunstgeschichte in ihrer Sinnlichkeit nobilitiert, wirkt Haut á la Deix meist mitleiderregend fahl, beige-rosa, mit recht grober Textur. Menschen sehen so nach gepudertem totem Schwein aus. Klar, dass dann auch Berührungen nichts von der Zärtlichkeit flammender Begehrlichkeit haben, sondern grobschlächtig mechanisch wirken. Wie auch die sexuellen Interaktionen, mit denen die Deix-Figuren lächerlich gemacht werden.

„Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, das man lässt.“ Nach diesem Satz von Wilhelm Busch, in dessem hannoverschen Museum derzeit die „Deix in the City“ betitelte Werkschau zu sehen ist, kann das Deix- Oeuvre nur als böse bezeichnet werden. Es wird wenig ausgelassen in der liebevollen Ausarbeitung des Hässlichen. Während Busch aber eher ein Meister der Schadenfreude war, erleben wir Deix als Porträtisten alltäglicher Schäbigkeit und Satiriker tagtäglicher Niedertracht. Immer verstanden als politisch korrekte Anklage: zu beleidigen, um Augen zu öffnen. Wobei für viele Deix-Opfer die Augen längst geöffnet sind – etwa wenn Michael Jackson und ein Prälat unter dem Titel „Kinderfreunde unter sich“ an den Objekten ihrer Begierde herumfummeln.

Ebenso wenig provozierende Kraft hat die Auseinandersetzung mit dem nach Adolf Hitler zweitberühmtesten Österreicher: Arnold Schwarzenegger, der homo steiermarcensis aus dem Graztal.

Ihm ist eine umfangreiche Bilderserie der Ausstellung gewidmet. Aber Gouvernator Arnie ist bereits damit erledigt, also weder zeichnerisch noch intellektuell ein ernstzunehmender Gegner, nachdem Manfred Deix den „herzensguten Hantelheber“ so traurig in seiner Bizepspracht dargestellt hat – mit einem Minipimmel und der wie leere Wurstpelle herabhängenden Vorhaut. Die Entwicklung vom naiven Naturburschen aus der Steiermark zum Hollywood-Spottobjekt und Todesurteil-Unterschreiber entwickelt kaum noch sarkastische Kraft.

Ansonsten erweist sich Deix aber mit seinen historisierend vergilbten, überladenen Bildern als ein Wilhelm Busch ebenbürtiger Künstler: frech bis unter die Gürtellinie, mit bösem Strich und zynischen Charakterisierungen.

„Deix in the City“, Wilhelm-Busch-Museum Hannover, bis zum 2. 3. 2008