Mammutzahn statt Zuckerwatte

FETTE WEIHNACHT Die Besucher des „WeihnachtsZaubers“ auf dem Gendarmenmarkt frönen festlichen Freuden mit doppelter Süße – nämlich der Einbildung, bei allem Genuss Stil zu bewahren

„Hier ist alles teurer. Dafür gibt es den besten Glühwein und die leckerste Bockwurst“

MARKTBESUCHERIN AUS POTSDAM

VON CANSET ICPINAR

Auf Weihnachtsmärkten duftet es meist nach gebrannten Mandeln, es tönt laute Musik, die Menschen trinken Punsch und Glühwein. Doch am Gendarmenmarkt ist alles ein wenig anders: Seine Besucher stellen sich zuerst eine halbe Stunde in die Schlange an der Eintrittskasse, um sich später in geheizten Feinkostzelten und Gourmetrestaurants ein Gläschen Champagner bei Kerzenschein zu gönnen.

Es ist ziemlich voll an diesem Samstagabend vor dem vierten Advent. Doch die Menschen drängeln nicht, sie schieben sich gemächlich an den anderen vorbei und tingeln von einem Stand zum nächsten. Dabei betreibt man Konversation in Zimmerlautstärke und entschuldigt sich höflich, falls man doch jemanden versehentlich anrempelt. In der Mitte des Platzes zwischen Schillerbrunnen und Konzerthaus steht eine Bühne, es tönt klassische Musik aus den Boxen, junge Mädchen führen ein Ballettstück auf. Das Publikum klatscht brav und trollt sich, bis das anspruchsvolle Kulturprogramm weitergeht.

Der Preis spielt keine Rolle

Neben den klassischen Weihnachtsständen mit allerlei Weihnachtsleckereien gibt es Händler, deren Waren man nur hier auf dem Markt findet. So auch die feinen Lederhandschuhe von Sebastian, der seit über 20 Jahren Waren aus Schafsfell verkauft. „Ich stehe jedes Jahr sechs Wochen lang auf dem Markt und habe Stammkunden aus der ganzen Welt“, erzählt der holländische Händler. Dabei spiele der Preis keine Rolle, denn seine Kunden wüssten, dass sie solche Qualitätsware nirgendwo sonst so günstig bekämen. Erst letztens sei wieder einer vorbei gekommen, der seine Handschuhe in der New Yorker U-Bahn liegen gelassen hatte. „Er hat das Ticket nach Berlin natürlich nicht nur wegen der Handschuhe gebucht, klar, aber wenn er schon nach Berlin kommt, weiß er, dass man diese Qualität nur bei mir findet“, sagt Sebastian.

Ein paar Meter weiter, an einem Schokoladenstand, schlürft ein Paar aus Potsdam Bio-Kakao. „Hier ist zwar alles ein wenig teurer, aber dafür habe ich hier den besten Glühwein getrunken und die leckerste Bockwurst gegessen“, behauptet die blonde Dame in weißer Daunenjacke, die an diesem Abend das erste Mal den vornehmsten Hauptstadtweihnachtsmarkt besucht. Auch ihr Lebensgefährte, der schon öfter hier war, betrachtet den Marktbesuch als besonderes Erlebnis. Allerdings nicht ganz ohne Kritik: „Also, wenn die hier schon Eintritt verlangen, dann sollte man auch irgendwann aufhören, weitere Leute reinzulassen“, beschwert sich der Potsdamer. Natürlich solle ein Weihnachtsmarkt auch gut besucht sein. Aber eben nicht so überfüllt wie eine Diskothek.

Der abendländische Markt bietet auch Spezialitäten aus dem Fernen Osten. Frank R., eigentlich Regenwassertechniker, bietet hier für erlauchtes Publikum Tee und Teekannen aus Japan an. „Teefreaks“ nennt der Händler seine Kunden, die gerne auch mal 80 Euro für 100 Gramm japanischen Tee ausgeben. Er importiert nur auf Bestellung. Die Preise für die in Deutschland seltenen Keramikkannen reichen bis 190 Euro. „Die Käufer sind Menschen, die das Teetrinken zelebrieren“, erklärt Frank R.

Unter den vielen SeniorInnen und TouristInnen tummeln sich einige wenige Teenager, die sich auf den Treppen des Konzerthauses niedergelassen haben. So auch zwei Neuntklässlerinnen der John-F.-Kennedy-Schule. Obwohl klassische Musik nicht ganz ihren Geschmack treffe, seien sie gerne auf dem Gendarmenmarkt. „Die Dekoration ist schön und die Stimmung ganz angenehm“, sagt eines der Mädchen. Nur Zuckerwatte hätten sie nicht gefunden.

Gewissen freigekauft

Aber mal ehrlich: Wer braucht schon Zuckerwatte, wenn man Schmuck aus fossilem Mammut-Elfenbein erwerben kann? In einem der Zelte werden Handwerksarbeiten verkauft, gleich neben einem Filzhut-Händler ragt ein Schild mit der Aufschrift „Eiszeit-Galerie“ in den Himmel. Was sich nach einem überzogenen Werbespruch für Modeschmuck anhört, ist völlig ernst gemeint. Eine freundliche Verkäuferin erklärt, der Rohstoff für den Schmuck komme aus Sibirien. „Auf Expeditionen wird dort häufig Mammut-Elfenbein gefunden. Deswegen sind das auch keine limitierten Waren, die wir herstellen“.

Vielleicht ist das ja die politisch korrekte Version für Schmuckliebhaber: Wer Elfenbeinschmuck von längst verstorbenen Tieren trägt, fühlt sich weniger schlecht, als wenn das Tier zu diesem Zweck getötet wurde. Ja, dieser Weihnachtsmarkt bietet definitiv mehr als nur Bockwurst und Glühwein: gegen Aufpreis sogar ein gutes Gewissen.