ortstermin: spd-bürgermeisterkandidat michael „mike“ naumann trifft harry rowohlt
: Wahlkampf mit Bauchhalten-vor-Lachen

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Keine Frage – Michael Naumann ist in seinem Element. Und so ist es nicht ganz gelogen, wenn er behauptet, diese Veranstaltung sei nicht Teil seines Wahlkampfes, sondern „der Höhepunkt“: Naumann, der Ende Februar für die SPD Hamburgs Bürgermeister werden will, hat sich Harry Rowohlt eingeladen. Der ist an diesem Sonntagmorgen gern ins Kulturzentrum „Fabrik“ im Stadtteil Altona gekommen – man kennt sich schließlich seit vielen Jahren. Ebenfalls gekommen sind – bei freiem Eintritt – rund 350 Zuschauer, die sich freuen zu scheinen auf Wortwitz, Hinter- und Scharfsinn des Autors, Übersetzers und Kolumnisten Rowohlt. Und einige freuen sich vielleicht sogar, wenn auch eher heimlich, auf den Kandidaten von der SPD.

Es gibt zwei Wahrheiten zu diesem Frühschoppen: Wer sich Harry Rowohlt auf die Bühne holt, kann nur gewinnen: Kaum vermeidlich ist es, dass Glanz von diesem Entertainer-Unikum abfärbt auf den, der sich nur eng genug an ihn schmiegt. Die zweite Wahrheit: Wer sich Rowohlt auf die Bühne holt, kann nur verlieren – denn neben dieser Rampensau verblasst jedes Umfeld.

Beide Wahrheiten beweisen sich, und das ungleiche Duo improvisiert sich durch knapp zwei Stunden; füllt die Übergänge zwischen Rowohlts Lesestücken mit Anekdoten und intelligenten Scherzen, die immer – bei Rowohlt – oder zumindest überwiegend – Naumann – mit wohlgesetzten Pointen daherkommen.

Naumann, bei dem man das Gefühl wieder mal nicht los wird, die Niederungen der Lokalpolitik sind sein Terrain nicht, fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle des kulturbeflissenen Plauderers. Er liest sogar die erstaunlich gute, einzige Kurzgeschichte, die er je verfasst hat – für eine Festschrift zu, ja, Rowohlts Sechzigstem. Als zweiten Höhepunkt steuert er eine bühnenreife Parodie des Literaturpapstes Marcel Reich-Ranicki bei, und als sich das Auditorium vor Lachen den Bauch hält, hat „Mike“ Naumann alle Punkte gesammelt, die an diesem Vormittag für ihn zu holen sind.

Den Rest überlässt er Rowohlt, der sich an zentralen Punkten seiner eigenen Biographie abarbeitet. So bekennt der kettenrauchende Vollbartträger, er sei „1972 im Affekt in die SPD eingetreten“, der Name Willy Brandt fällt in diesem Zusammenhang, und habe – noch unglaublicher – seit Juni diesen Jahres keinen Schluck Alkohol mehr angerührt. Der Entzug sei verkraftbar gewesen, nach fünf Tagen auch körperlich im Prinzip bewältigt, ein Problem aber, so Rowohlt, sei geblieben: „Man erlebt alles in Echtzeit.“ Mit gleichwohl whiskey- und kondensatgestählter Stimme liest, nein, inszeniert Rowohlt die Übersetzungen seiner Lieblingsautoren, und die Aussage einer 5-Jährigen – „Der redet aber komisch“ – ist wohl der einzige kritische Satz hier und heute.

Ein paar Exemplare der erwähnten Rowohlt-Festschrift werden feilgeboten, die bereits zur Pause ausverkauft sind; dazu ungleich mehr Exemplare eines SPD-Kaffeebechers mit Hamburg-Wappen und Naumann-Unterschrift, den aber nur wenige mit nach Hause nehmen wollen. So stimmen Angebot und Nachfrage an diesem Vormittag zwar nicht immer überein, der Stimmung aber tut das keinen Abbruch.MARCO CARINI