Am Ende bleibt die Frage nach dem Sinn der Plattform

WELTSOZIALFORUM Etwa 40.000 Teilnehmer reden über Migration, Menschenrechte und Klimawandel

Einige Gruppen nutzen die Vielfalt der Stände für antisemitische Propaganda

AUS TUNIS ANDREAS BEHN

Regen und Sturmböen zerrten an den zahlreichen Zelten auf dem Campus der El-Manar-Universität in Tunis – erschwerte Bedingungen für das 12. Weltsozialforum (WSF). Doch die Globalisierungskritiker ließen sich nicht abschrecken. Knapp tausend Veranstaltungen und Workshops wurden angeboten, die meisten waren gut besucht, wenn auch mit vielleicht 40.000 Teilnehmern nur gut die Hälfte der angekündigten Beteiligung erreicht wurde.

Wie immer bei dieser Großveranstaltung der weltweiten sozialen Bewegungen und der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) war einiges chaotisch: Mal gab es keine Übersetzung, mal fanden Referenten und Zuhörer auf dem weitläufigen Universitätsgelände nicht zueinander.

Den Abschluss bildete am Samstagnachmittag eine Demonstration im Zentrum der tunesischen Hauptstadt. Offiziell als Solidaritätsmarsch mit Palästina angekündigt, dominierten Tunesien- und Palästina-Fahnen die Spitze des Zuges von rund 10.000 Aktivisten. Themenvielfalt war erst im hinteren Teil der Demonstration zu sehen.

Die Diskussionsergebnisse beim Abschlussforum zu bündeln, gelang allerdings kaum. Im Zentrum der Debatten standen Migrationspolitik, ungerechte Handelsstrukturen, Menschenrechte und der Klimawandel. Besonders stark diskutiert wurden regionale Fragen – Flüchtlingsprobleme, der Umgang mit autoritären Regierungen und die Frage, was aus dem Arabischen Frühling geworden ist.

Auffällig war die Teilnahme Tausender junger Tunesier, für die das Forum offenbar eine Gelegenheit für intensiven Informationsaustausch war. Im Gegensatz dazu war die internationale Beteiligung geringer, vor allem asiatische Bewegungen waren kaum da, und auch Lateinamerika war wenig präsent.

Dennoch stellte sich in Tunis erneut die Frage, inwiefern Regierungen das Forum als Plattform zur Austragung nationaler Konflikte nutzen, denn gestritten wurde auch. Insbesondere einige Gruppen, die offenbar der algerischen Regierung nahestanden, provozierten bei aus ihrer Sicht unliebsamen Veranstaltungen. Frauenveranstaltungen wurden genauso gestört wie Workshops, die etwa Fracking-Projekte im Süden Algeriens kritisierten.

Zudem nutzten einige Gruppen die Vielfalt der Stände auf dem Campus für antisemitische Propaganda. Eine Israelfahne wurde zum Fußabtreten auf den Boden gelegt, auf Plakaten wurde angekündigt, dass schon bald Raketen vom Iran aus Israel zerstören würden. Erstmals riefen die Forums-Veranstalter Sicherheitskräfte zu Hilfe, um die Stände, die dem Diskriminierungsverbot des WSF-Charta zuwiderlaufen, räumen zu lassen.

Die nationalistischen Provokationen drückten bei vielen Teilnehmern die Stimmung und der Sinn der Weltsozialforen wurde in Frage gestellt. Vielen fehlt es schon seit Jahren an klaren politischen Linien, andere bemängeln, dass die Beliebigkeit der Inhalte dazu führe, dass sich Debatten nur wiederholen.

Auch im Internationalen Rat des WSF scheint es Konsens zu sein, dass sich das Weltsozialforum erneuern soll. Einige Mitglieder plädieren für kleinere, thematisch ausgerichtete Foren, andere wollen den Logistikaufwand vermindern und regionale Foren stärken. Auch der Gedanke, das WSF in eine Art Weltuniversität mit politischem Anspruch zu verwandeln, ist im Gespräch. So unklar wie die Zukunft ist noch der Ort des nächsten WSF. Kanadische Gruppen wollen es 2016 ausrichten, aber auch Brasilien ist interessiert.