Trügerische Einheit

UKRAINE Nach dem Rücktritt des Gouverneurs von Dnipropetrowsk, Ihor Kolomojskij, machen alle Beteiligten gut Wetter. Doch die Unzufriedenheit ist nicht zu übersehen

„Wir mussten hier auf die Demokratie verzichten“

A. SIMWOLOKOW, GEWERKSCHAFTER

AUS DNIPROPETROWSK BERNHARD CLASEN

Mehr als 2.000 Menschen haben am Samstag in der ostukrainischen Metropole Dnipropetrowsk auf dem „Platz der Helden des Maidan“ für die Einheit der Ukraine demonstriert. Viele Teilnehmer, so die Organisatoren, seien mit Bussen aus anderen ostukrainischen Städten angereist.

Zunächst als Unterstützung für den bisherigen Gouverneur des Gebietes Dnipropetrowsk gedacht, änderte sich die Zielrichtung der geplanten Veranstaltung mit dem Rücktritt des streitbaren Oligarchen Ihor Kolomojskij Mitte vergangener Woche. Zuvor hatte der Oligarch in Begleitung bewaffneter Leibwächter zwei Kiewer Büros der Ölgesellschaften „Ukrnafta“ und „Ukrtansnafta“ besetzt und damit den Zorn der Kiewer Regierung hervorgerufen. Nun war demonstrative Einigkeit angesagt. Alte und neue Spitze des Gebietes sollten gemeinsam auftreten, Kolomojskijs Mannschaft kündigte einen Rechenschaftsbericht an.

Tatsächlich hatten die Gefolgsleute von Kolomojskij auf der Bühne die Überhand. Es sei vor allem der von Kolomojskij geführten Administration zu verdanken, so Boris Filatow, langjähriger Weggefährte des Exgouverneurs, dass Dnipropetrowsk den Separatisten nicht in die Hände gefallen sei, es in der Stadt auch keine Anschläge gegeben habe. „Wir haben den kriminellen Untergrund gesäubert, allen Kollaborateuren und Verrätern unserer Heimat ein Ticket gekauft. Sollen sie doch dort leben, wo es ihnen gefällt. Oder überhaupt nicht leben“.

Die Kolomojskij-Administration, so der Berater des Kiewer Innenministers Anton Geraschenko, habe mit ihrem konsequenten Vorgehen Putins Plan, die russischsprechende Bevölkerung in der Ostukraine gegen Kiew aufzubringen, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Man habe mit den entsprechenden Personen „klärende Gespräche im Wald geführt, ihnen beigebracht, wie man die Heimat liebt. Damit wurden in Dnipropetrowsk derartige Entwicklungen gestoppt“, so Geraschenko. Ohne die Entschlossenheit der Spitze des Gebietes Dnipropetrowsk, so Geraschenko, „wären die anderen Städte des Südens und Ostens der Ukraine gefallen wie Dominosteine“.

Für Olexej Angurez, Vorsitzender des beim Gouverneur angesiedelten Umweltrats, sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kolomojskij und der Kiewer Regierung beigelegt. Kolomojskij habe schon lange an Rücktritt gedacht. Der weitgehend eingehaltene Waffenstillstand mache dies nun möglich. Doch der Schein trügt. Besucher wunderten sich über einen neben der Bühne über die Bildschirme laufenden Schriftzug „Die Ukraine der Zukunft“. Ob da nicht Schleichwerbung gemacht werde für die Kommunalwahlen im Herbst, wurde vermutet. Eine Kolomojskij nahestehende Partei, heißt „Ukraine der Zukunft“.

„Mich interessiert nicht, wer hier ist, sondern wer hier nicht ist“, erklärte ein Mann. „Kolomojskij hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, selbst zu kommen. Angeblich soll er sich ja wieder einmal in der Schweiz aufhalten.“ Er vermisse die Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko, die Nationalisten von der „Swoboda“-Partei und die bekannten Gesichter der städtischen Maidan-Bewegung. Auch der Nachfolger von Kolomojskij, Valentin Resnitschenko, sei nicht aufgetreten. „Warum sollte ich an dieser Veranstaltung teilnehmen?“, fragte ein Taxifahrer gereizt. „Hier kämpfen Oligarchen gegen Oligarchen, und ich weiß nicht, wie ich meine Familie ernähren soll.“ In nur einem Jahr habe sich seine wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtert.

„Wahrscheinlich haben die Redner recht in ihrer Einschätzung, dass der Separatismus dank Kolomojskij in Dnipropetrowsk nicht Fuß fassen konnte“, kommentierte der Gewerkschaftler Alexej Simwolokow. „Der Preis war hoch. Wir mussten auf die Demokratie verzichten. Wir steuern auf ein System zu, das sich am ehesten mit Putins Russland vergleichen lässt.“ Auch der Kommunist Andrej Bondarenko sieht eine „bedrohliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten“. Derzeit stehe der kommunistische Redakteur Alexander Bondartschuk vor Gericht, weil er die territoriale Integrität des Landes indirekt in Frage gestellt haben soll.

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