Ich bin der Zukunftsjunge

Sie spielten „Wicked Games“, was dann geschah, lässt sich kaum begreifen: die Turin Brakes im Café Zapata

Sie begannen mit „Future Boy“. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht recht klar, was aus dem Abend wird. Aber die Turin Brakes aus London schienen gut gelaunt, und die Leute im vollen, relativ kleinen Café Zapata im Tacheles schienen sich vorgenommen zu haben, den Abend zu etwas Besonderem zu machen. Vielleicht lag es an der Kälte draußen, vielleicht an der Adventsmissstimmung, vielleicht daran, dass das Ende des Wochenendes erreicht war. Jedenfalls sollte dieses Konzert ein für Band wie Publikum einschlagendes Ereignis werden.

Es hätte auch ein normal heruntergerocktes Konzert einer Band sein können, die mit ihrem Debüt den größten Erfolg hatte und danach diesem Erfolg mehr oder weniger hinterherhechelte. Die Turin Brakes erschienen 2001 auf der Bildfläche, sie waren mit „I Am Kloot“ Englands Antwort auf die norwegische Herausforderung der Stille. „Quiet is the New Loud“ taufte der NME dieses Soundphänomen, das darin bestand, dass gut abgehangene Rocksongs leiser und langsamer gespielt wurden. Mit Gesangsakrobatik und Akustikgitarren. Die Turin Brakes haben mit den Kings of Convenience, den norwegischen Vorreitern der Bewegung, allerdings nicht viel gemein. Außer dass zwei gut aussehende Jungs eine Platte voller Schmachtfetzen im akustischen Gewand vorlegten. Wo die Kings of Convenience aber nach Simon & Garfunkel klangen, waren die Turin Brakes Middle of the Road, wahlweise Südstaaten oder Kalifornien.

„The Optimist LP“ hieß das Erstlingswerk der Londoner, namentlich Olly Knights und Gale Paridjanian. Mittlerweile hat die live um drei feste Mitstreiter erweiterte Band drei weitere Platten gemacht, zuletzt die solide, recht rockige „Dark on Fire“. Die Turin Brakes machen aufgeklärte Kaminfeuermusik, die gerne mal abgeht. Rockistische Schmachtfetzen. Liebeslieder, die modernes Inventar wie Sekretärinnen und verschenkte Mobilrufnummern kennen, gerne Wettermetaphern benutzen oder von brennenden Gefühlen singen, auf eine lässige, wüstenhafte Art.

Inzwischen sind Knights und Paridjanian sichtbar älter geworden. Knights wirkte leicht untersetzt, trug ein schickes schwarzes Hemd, einen Fünftagebart und eine ausgewachsene Out-of-Bed-Frisur. Während Knights also versucht, die Berry-Gibb-Klasse zu erreichen, um in den besten Jahren auch bestmöglich auszusehen, hat sich Paridjanian für eine Rückkehr zum Extravaganten entschieden. Unauffällig gekleidet, trug er Glatze mit kleinem Zopf. Die drei Mitstreiter, ein feist grinsender Bassist, ein kumpeliger Typ am Schlagzeug und ein weiterer Beau an den Tasten, passten gut ins Bild. Bärte trugen sie alle, der Bassist hatte den größten, und auch sonst schien sich die Band trotz ihrer mittlerweile siebenjährigen Tätigkeit bestens zu verstehen.

Mitgewachsen war auch das Publikum. Alle schienen beim Debüt eingestiegen zu sein und die Band auf ihrer Reise in die Radiotauglichkeit nicht verlassen zu haben. Tatsächlich unterschieden sich die Songs nicht groß voneinander, die neueren waren eine Spur treibender; satt waren sie allesamt. Lustigerweise spielte die Band mitten im Konzert ein Stück, das sich als Blaupause für ihr Gesamtwerk eignet: „Wicked Game“ von Chris Isaak. Zerdehnte Musik, die das Dunkle befeuert.

Was danach geschah, ließ sich kaum begreifen. Das Publikum feierte die Band, die Band feierte das Publikum, Momente des Glücks schienen zu entstehen, jeder Vergleich mit Midnight Oil, über den man vorab nachgedacht hatte, verbat sich. Die Turin Brakes spielten sich in einen Rausch, steckten die Köpfe zusammen, improvisierten, gaben groovige Versionen älterer Stücke wie „Underdog“ oder „72“. Das Publikum war außer sich. Drei Zugaben. RENÉ HAMANN