„Ein Mehrklassensystem“

DEMO Zum Ende des Winternotprogramms fordert ein Aktionsbündnis Wohnungen für Obdachlose

■ 56, ist Sozialarbeiterin in einer Beratungsstelle in Altona und Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Wohnungsnot.

taz: Frau Reuter, Ihr Aktionsbündnis fordert sofortigen Wohnraum für Obdachlose. Wie stellen Sie sich das vor?

Bettina Reuter: Wir fordern nicht nur Wohnungen, sondern auch eine ganzjährige Unterbringung für Obdachlose. Diese Unterkünfte sollten einen besseren Standard haben, als das Winternotprogramm, wo es 900 Plätze in der Massenunterbringung in Schulklassenzimmern und Turnhallen gibt.

Das Winternotprogramm endet heute. Wo sollen die Leute nun hin?

Die werden jetzt wieder im Straßenbild auffällig, weil sie im öffentlichen Raum übernachten müssen, solange es keine Unterbringungsplätze für sie gibt. Dabei waren schätzungsweise 2.000 Menschen den ganzen Winter über draußen, weil es nicht so eisig kalt war.

Sozialsenator Detlef Scheele wollte Hamburg für Obdachlose nicht zu anziehend gestalten. Ist die Politik des SPD-Senats eine der Abschreckung?

Das Winternotprogramm ist ja ein Erfrierungsschutz, das kann jeder nutzen, egal welchen sozialrechtlichen Status er hat. Dieser Status ist etwas ganz Furchtbares, weil eigentlich jeder ein Anrecht auf Unterbringung haben müsste. Aber der SPD-Senat sagt, jemand, der in Deutschland keine sozialrechtlichen Ansprüche hat, weil er hier noch nie gearbeitet hat, für den wird nichts bezahlt. Das ist ein Mehrklassensystem innerhalb dessen, was die Stadt bereit ist an Kosten zu übernehmen.

MigrantInnen, die hier nicht bereits gearbeitet haben, werden per se nicht aufgenommen?

Jemand, der hier einen Minijob hatte, der hat schon einen Anspruch. Aber wenn jemand hier noch keine Arbeit hatte, wird ihm hier auch nicht besonders geholfen. Im Winter gibt es den Schutz vor dem Erfrieren, das ist aber jetzt vorbei. Ohne diese sozialrechtlichen Ansprüche dürfen die Menschen im Pik As höchstens drei Nächte schlafen, dann ist es vorbei.

Aber es gibt doch einen rechtlichen Anspruch auf ein Dach über dem Kopf?

Das Problem der letzten Jahre war, dass es so wenig sozialen Wohnungsbau gab. Das ist zwar schon etwas besser geworden, aber die Saga baut immer noch viele Wohnungen für Besserverdienende. Außerdem gibt es Gebiete, die für die soziale Durchmischung von der Sozialbindung freigestellt sind. INTERVIEW: LKA

Kundgebung “Wohnungen für obdachlose Menschen. Sofort!“: 12 Uhr, vor dem Rathaus