MENSCHEN SIND, MAL EHRLICH, EIN IRRTUM DER SCHÖPFUNG. UND KEIN BISSCHEN NÜTZLICH – AUCH WENN MAN NÜTZLICH SO DEFINIERT, WIE ES DER MENSCH TUT
: Ihr werdet den Kröten schon noch danken!

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Die Welt ist schlecht. Die Menschen sind böse. Sie wollen nicht abgeben, nicht teilen, nicht helfen. Sie denken immer nur an sich selbst. So ungefähr sieht das ja aus. Deswegen werde ich murriger und grimmiger, je älter ich werde. Weil mir Menschen als solche immer mehr verleidet werden.

Menschen als solche, wenn man mal ehrlich ist, sind ein Irrtum der Schöpfung. Sie sind überhaupt nicht nützlich, auch wenn man nützlich so definiert, wie nützlich von Menschen definiert wird. Nämlich für Menschen nützlich. Für Menschen sind Menschen nicht nützlich. Für Tiere aber schon gar nicht. Tiere kommen mit Menschen meist nur schlecht klar. Wenn man von Hunden mal absieht, von Hunden im europäischen und amerikanischen Raum. Und von Möwen und Ratten vielleicht. Diese Tiere profitieren vielleicht vom Menschen. Der Rest der Tiere könnte sicher auf den Menschen verzichten, denn der Mensch hat sich Lebensstrukturen erschaffen, mit denen das Tier oft nicht klarkommt.

Der Wolf hat hier in Schleswig-Holstein zum Beispiel einfach keinen richtigen Wald mehr. Kaum geht er ein Stück spazieren, da ist der Wald auch schon vorbei, ein Schaf steht vor seinem Maul, er muss dann dieses Schaf fressen und wird dafür gehasst. Der Wolf soll in den winzig kleinen Waldstücken bleiben, die der Mensch noch übrig gelassen hat, unsichtbar und ohne Aufsehen zu erregen. Er soll sich am besten vegetarisch ernähren und dem Menschenkind zum Beispiel gar nicht vor das Gesicht kommen, weil das Menschenkind des Menschen Heiligstes ist.

Aber dann erfahre ich vom NDR, dass zum Beispiel ein Mann namens Romulo Schenk und eine Frau namens Anne Welsner nebst Gehilfen jährlich den Kröten helfen, sich zu vermehren. Die Kröten wandern nämlich jedes Jahr zur selben Zeit zu ihrem Geburtsteich oder Geburtssee und bespringen sich alle auf einmal. Man nennt sie deshalb auch Explosivlaicher. Bei diesen Wanderungen sterben jährlich Hunderttausende Kröten, weil sie über Straßen gehen müssen, es ist ein Zwang, ein Laichzwang, und dabei werden sie überfahren. Straßenverkehr ist noch immer nicht in ihren Instinkten verankert.

Man könnte dieses hunderttausendfache Überfahren auch einen Massenmord nennen, denn so viel ich weiß, bremst ein durchschnittlicher Autofahrer nicht für eine Kröte, selbst dann nicht, wenn niemand hinter ihm fährt. Er bremst einfach nicht. Eine Kröte ist zu klein, um für sie zu bremsen. Menschen bremsen nur für größere Sachen, die Beulen in Motorhauben schlagen können. Auch können Menschen Kröten meist gar nicht leiden. Obwohl sie keine Schafe fressen, sondern nur Insekten.

Aber, und das ist das Schöne und es könnte einem die Tränen in die Augen treiben vor Rührung: Es gibt Menschen wie Romulo Schenk und Anne Welsner, die ziehen kilometerlange Krötenzäune, die buddeln kleine Eimer ein, damit die Kröten da reinfallen und dann laufen diese Leute da zweimal am Tag lang, um die Kröten einzusammeln und über die Straße zum Wendebachstausee bei Göttingen zu tragen.

Sowas macht eine Menge Arbeit und das ist vielleicht auch ein bisschen eklig, hunderte sexuell verwirrte Kröten täglich mit den Händen aufzusammeln, während andere einfach drüberfahren. Und, das entgeht einem auch nicht, wenn man sich damit auseinandersetzt, sie werden manchmal auch verlacht, als Ökospinner. Ich persönlich habe noch keine einzige Kröte irgendwohin getragen, aber ich meine, dass, wenn man sowas macht, das den Menschen als solchen in ein besseres Licht rückt, gegenüber wem auch immer.

Eines Tages, Menschen, da werdet ihr vielleicht hoffen, dass eine Kröte kommt, die euch auf die andere Seite trägt. Aktuelle Infos zur diesjährigen Krötenwanderung gibt es übrigens unter www.amphibienschutz.de.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Eine Nacht und alles“ ist soeben bei Rowohlt Berlin erschienen.