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GAUWEILER GEHT. ZEIT, SICH ZU ERINNERN – AN EIN GANZ UNBEABSICHTIGTES GESELLSCHAFTLICHES VERMÄCHTNISKondome statt Pogrome

MARTIN REICHERT

Gauweiler, die Nennung dieses Namens ist wie der Druck auf einen Knopf. Sofort erscheinen vier Buchstaben: Aids. Und zwar, obwohl der CSU-Politiker Peter Gauweiler aufgrund einer ganz anderen Vierer-Buchstabenkombination namens Euro von seinem Amt als Parteivize zurücktritt. Auch sein Bundestagsmandat will er niederlegen – weil er mit dem Eurokurs der Bundesregierung nicht einverstanden ist. Er will keine Eurobonds, und die Griechen will er auch nicht retten.

In die Geschichte eingehen wird er mit diesem Schritt eher nicht, denn das hat er schon lange vorher besorgt – er gilt als Symbol der seinerzeit glücklicherweise gescheiterten Anti-Aids-Politik der CSU.

„Kondome statt Gauweiler-Pogrome“, nur einer von vielen Transparentsprüchen, die seinerzeit auf Demos gegen Gauweiler in Stellung gebracht wurden: 1986 hatte der seinerzeitige Staatssekretär im bayerischen Innenministerium unter anderem verpflichtende Reihenuntersuchungen für die Angehörigen von „Risikogruppen“ gefordert, zu denen er vor allem Nichteuropäer zählte. Und eine Meldepflicht für mit dem HI-Virus Infizierte. Gauweilers „Maßnahmenkatalog“ wurde jedoch mit großer Mehrheit vom Bundesrat abgelehnt. Die Vernunft konnte sich seinerzeit durchsetzten, symbolisiert durch Rita Süssmuth und ihre Aufklärungs- und Präventionsstrategie.

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dass auch ein gewisser Horst Seehofer, damals aufstrebender CSU-Nachwuchspolitiker, Aidskranke in „speziellen Heimen sammeln“ beziehungsweise „konzentrieren“ wollte.

Lange ist das nun alles her, doch als diese Diskussionen virulent waren, schrammte die Republik wieder einmal knapp am braunen Abgrund vorbei. Aids-Aussätzige, ab ins Lager; nicht wenige Homosexuelle hatten zu dieser Zeit wirklich Angst, schon wieder „abgeholt“ zu werden. Noch frisch war das Selbstbewusstsein der neuen deutschen Schwulenbewegung. Eben noch genoss man die erkämpften Freiheiten, schon drohten alle Fortschritte wieder zunichtegemacht zu werden. Zuvörderst natürlich in Bayern: Plötzlich gab es wieder überall Razzien, schwule Wirte bekamen Probleme mit ihrer Schanklizenz. Und in Homo-Saunen sollten möglichst die Türen ausgehängt werden, damit es hinter Schloss und Riegel nicht zu sexuellen Handlungen käme.

Das alles erscheint einem heute irgendwie unwirklich, hat aber eine ganze Generation von Homosexuellen in Angst und Schrecken versetzt. Zunächst. Denn andererseits hat die Aids-Krise zu einer gesellschaftlichen Mobilisation beigetragen, die viele schwule Institutionen erst ermöglicht hat. Die „Randgruppe“ der Schwulen mutierte nun zu Mitgliedern der Gesellschaft, mit denen man sich beschäftigen musste.

In Internetforen kann man noch heute besichtigen, welchen Hass Gauweiler seinerzeit auf sich gezogen hat. „Möge er in der Hölle schmoren“, las ich gerade auf Facebook anlässlich seines Rücktritts. Aber ach was: Selten hat ein gescheiterter politischer Ansatz so viel bewirkt wie Gauweilers „Maßnahmenkatalog“.

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