OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Egal welches Genre John Ford auch bediente, eigentlich handeln seine Filme immer von der Heimat. Von der Frage, was dieser Begriff überhaupt beinhaltet, ebenso wie von einem Gefühl, das seine Protagonisten dafür erst entwickeln müssen. Es sind Filme, in denen die Wildnis durch die Zivilisation überwunden wird, mithilfe der ordnenden Kräfte, die Letztere gemeinhin mit sich bringt: Familie, Gesetze, Religion, Militär und Kultur. Das Drama beginnt, wenn die entsprechenden Wertegemeinschaften, deren Sinn für Ford stets außer Frage stehen, entweder noch nicht etabliert sind oder irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Wie in dem grandiosen Western „The Searchers“ (1956), in dem der verbitterte Ethan Edwards (John Wayne) drei Jahre nach Beendigung des Bürgerkrieges zur Farm seines Bruders und seiner Schwägerin Martha zurückkehrt. Doch es ist sofort deutlich, dass dieser Ort nicht seine Heimat sein kann. Denn Ethan und Martha verbindet eine unerfüllte Liebe, die Ford nur in Nuancen andeutet, etwa der Art, wie Martha über Ethans Mantel streicht. Nach einem Indianerüberfall auf die Farm und der Verschleppung der beiden Töchter des Ehepaares erobert sich der Film mit der nun einsetzenden Suche auch die Weite der Landschaft und erzählt dabei von dem Unverständnis, das Weiße und Indianer füreinander hegen. Wut und Rassismus brechen sich Bahn – und am Ende steht ein zweifelhafter Erfolg: Die verschleppte Debbie wird zwar gefunden, doch in den langen Jahren ist sie praktisch zur Indianerin geworden.Und für Ethan wird es auch in der sich bildenden neuen Familie keinen Platz geben (OF, 3. 4., Arsenal 2).

Auch in den Dokumentarfilmen von Volker Koepp geht es um Heimat, und vielleicht kann man auch hier davon sprechen, dass aus dem Gleichgewicht geratene Werteordnungen den Boden bereitet haben für das, was der Filmemacher in der Gegenwart erforscht. Denn einen Teil seines Werkes hat Koepp den Landschaften und Menschen östlich der Oder gewidmet, wo der Zweite Weltkrieg mit Mord, Umsiedlung, Vertreibung und neuen Grenzziehungen das Leben der verschiedenen Volksgruppen und Kulturen besonders stark beeinflusst hat. In dem Film „Kurische Nehrung“ (2000) untersucht Koepp einmal mehr einen multikulturellen Mikrokosmos – auf einem rund hundert Kilometer langen, aber nur wenige Kilometer breiten Landstreifen, der das Memeldelta von der Ostsee trennt. Früher ein Teil von Ostpreußen, ist der südliche Teil heute russisches Staatsgebiet, der nördliche Teil gehört zu Litauen. Protagonisten dreier Volksgruppen erzählen von Traditionen und vor allem ihren Hoffnungen, die auch für Koepp stets im multinationalen Miteinander liegen (6. 4., Arsenal 2).