Lieber verspätet gut als zeitig doof: Supershirt und Shirley Holmes lassen uns zurückschauen

Sicher, kann schon sein. Supershirt sind etwas spät dran. Aber: Die Wahrheit kann man ja gar nicht oft genug sagen. Oder, in diesem Fall, singen. Jedenfalls ist die Band, seit sie von Rostock nach Berlin umgezogen ist, nicht nur vom Duo zum Trio gewachsen, sondern hat offensichtlich auch ziemlich schnell mitgekriegt, wie die neue Heimatstadt so tickt. Das dritte Album trägt zwar den Namen „Kunstwerk“, erinnert aber bisweilen eher an ein schnödes Protokoll. Fast scheint es, Faxe System und Tim Brenner hätten mit einem Notizblock bewaffnet in den Teeküchen der kreativen Boheme Beobachtungsposition eingenommen oder gleich die Chat-Protokolle der digitalen Eingeborenen kopiert. Die Folge sind Texte, die den Arbeitsalltag der modernen Laptop-Sklaven beschreiben („Ein Tag hat 24 Stunden, also beute ihn aus“) und das Ausgeliefertsein ans System beschreiben („Manchmal kann man noch etwas machen. Aber meistens hat es keinen Sinn“). So verzweifelt ist die Situation der Selbstausgebeuteten, dass sich die „To-dos auf der Liste“ auf „Fuß auf der Klippe“ reimen. Manchmal tragen die Protagonisten ihre strubbelige Designerfrisur auch nach Hause in die Provinz, wo noch alles beim alten und die Einkommensverhältnisse noch nicht auf Honorarbasis umgestellt sind („Punkt zwölf steht der Braten auf dem Tisch“). Ein Trost ist auch das nicht. Für den sorgt immerhin die Musik, die – wie es einer Wahlberliner Band geziemt – die Technogeschichte der Stadt aufgesogen hat. Gitarrist Timo Katze, der neue dritte Mann, sorgt nun auf „Kunstwerk“ aber dafür, dass auch der Rock Einzug hält in diese Songs, die scheinbar ständig vom Scheitern handeln und vom Weitermachen und davon, wie man irgendwie doch noch den Kopf hochhalten kann. Beim Tanzen geht das zweifellos leichter, also knarzt die Gitarre zwar bösartig, aber die Beats schnarren und bollern und bummern, als sollte der Frust mit der Kratzbürste abgerubbelt werden.

Ganz ähnlich funktionieren Shirley Holmes. Wenn auch ohne die Elektronik. Stattdessen: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Und zwei Frauenstimmen, die sich solidarisch unterstützen, während sie die allerbesten Schreiereien aus der Punkzeit stilecht imitieren. Sie selber meinen, sie würden Ideal mit Mudhoney verschmelzen. Zugegeben, das ist tatsächlich eine erfolgversprechende Kombination: Schwer stampfende Gitarrenriffs, ein gefährlich groovendes Schlagzeug und weibliche Selbstermächtigung in hinreißende Popmelodien gegossen. Der Hit heißt: „Alles löst sich auf“. Ältere Herrschaften werden einwenden: Das gab es doch schon. Hieß L7. Kam aus Los Angeles, war großartig, aber hat sich vor zehn Jahren aufgelöst. Erstaunlich, dass Shirley Holmes auf ihrem Debüt „Heavy Chansons“ eine ähnliche Kraft wie die in ihren besten Zeiten vierköpfige Frauenrockband L7 entwickeln, aber dafür nur die klassische Rocktrio-Besetzung benötigen. Diese kompakte Einheit ist doch immer noch die effektivste. Auch Shirley Holmes sind also etwas spät dran. Aber wie gesagt: Mit den richtigen Tricks kann man niemals zu spät dran sein. THOMAS WINKLER

■ Supershirt: „Kunstwerk“ (Audiolith/Broken Silence)

■ Shirley Holmes: „Heavy Chansons“ (Setalight/Rough Trade)