Meese tanzt Tango

Es war ein bisschen wie in Sartres „Geschlossener Gesellschaft“, nur lustiger: Dreimal 24 Stunden hat sich Performer Jonathan Meese von Peter Hönnemann fotografieren lassen. Mit Schlamm im Haar und in allerlei anderen Posen und Kostümen. Die Fotos sind derzeit in Hamburg zu sehen

„Kunst darf die Götter tanzen lassen – aber niemals so tun, als wäre das die Realität“

VON PETRA SCHELLEN

Die Überdosis tut selten gut. Selbst wenn es um Jonathan Meese geht, den Performer-Rebellen, der binnen Wochenfrist jetzt schon das zweite Hamburger Museum besetzt: Parallel zu einer Installation im archäologischen Helms Museum präsentiert er jetzt im Museum für Kunst und Gewerbe Resultate dreier 24-Stunden-Shootings mit dem Fotografen Peter Hönnemann.

Dabei würde Meese natürlich nie zugeben, dass da ein Narziss am Werk ist, der sich jetzt auch noch auf 102 Fotos in Szene setzen muss. „Nein“, sagt er anlässlich der Eröffnung der neuen Ausstellung, „die Kunst ist der Chef. Und dass die Kunst alles darf, ist ja keine Erfindung von mir. Die Kunst darf spielen, sich verkleiden, die Götter miteinander tanzen lassen – aber niemals so tun, als wäre das die Realität.“

Das ist wahr, aber trotzdem beschleicht einen das Gefühl, dass er die hehre Kunst auch gern für seine PR bemüht. Drei Tage lang hat er sich also diesmal in allerlei Kostümen und Posen ablichten lassen. Von Peter Hönnemann, den er während einer Prominenten-Porträt-Session zugunsten des Hamburger Stadthaus-Hotels kennen gelernt hatte. Die beiden mochten sich und beschlossen, mal intensiv „Geschlossene Gesellschaft“ zu spielen und die Resultate zu fotografieren. Anwesend, neben den beiden Künstlern: fünf Helfer, außerdem jede Menge Requisiten vom Theaterblut bis zum Plastikschwert. „Ich dachte, das wäre ein Klacks. Ein Riesenspaß“, erzählt Meese. „Und dann war da schon nach fünf Minuten die totale Erschöpfung.“ Warum, wusste er selbst nicht. „Ich fühlte mich fehl am Platz“, sagt er. „Wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Konnte nicht entspannt sein.“

Aus purer Verzweiflung haben sie dann mit den Formalismen angefangen. Meese hat ein ordentliches weißes Hemd bekommen, ein Schwert in die Hand – fertig war der Ritter. Oder der stilecht verkleidete Marquis de Sade mit Kopf unterm Arm. Oder der konsumkritische Meese-Kopf, vollgeklebt mit Dollarnoten. „Die Form hat uns gerettet“, sagt Hönnemann. „Sonst wären wir in der Hilflosigkeit stecken geblieben.“

Im Lauf der Zeit sind sie aber doch in Gang gekommen. Da haben sie Meeses Gesicht verschmiert und in Neonfarben getaucht und Unterwasser-Fotos gemacht. Er hat Grimassen geschnitten, sein Gesicht verhüllt, verformt, eine ernste Puppe in die Hand genommen. Schwarzweiß, bunt, teils übermalt sind die Fotos, auf denen sich nicht nur die Form auflöst, sondern auch das Individuum. Am Schluss ist alles verwischt; Meese hat keine Kontur und kein Gesicht mehr. Eine Selbstauflösung, die dem Künstler, der „sowieso nicht an das Individuum glaubt“, genau ins rhetorische Konzept passt.

Dazu gehört auch die Auflösung der Grenze zwischen Fotograf und Modell. „Wir sind in einen rauschhaften Zustand geraten“, sagt Hönnemann, „und haben irgendwann nur noch gespielt“. Deutlich inszenieren sie sich auf einigen Fotos als künstlerisches Paar. „Wir fühlen uns wie zwei Tangotänzer“, sagt Meese. „Hörmann ist der Chef.“ Und wenn der sagt, Meese soll sich umdrehen oder ein Loch in seine Jacke brennen, weil das auf dem Foto cool aussieht, macht er es.

Trotzdem wirken die Aufnahmen merkwürdig künstlich. Nicht nur die sichbar inszenierten, auf denen Meese Kostüm oder Maske trägt. Auch die stark verfremdeten, mit Rot- oder Schwarzlicht aufgenommenen Bilder sind gefällig und irritierend leer. Denn egal, ob er irre oder dämonisch schaut: Nie weiß man, wie weit die Inszenierung reicht und wo die Brechung beginnt. Nie wird klar, ob dies pubertäres Rebellentum ist oder ob er selbiges karikiert. Dass Meese pausenlos wiederholt, er sei Karikaturist, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil: Seine Angst vorm Missverstandenwerden ist so groß, dass sie fast schon wieder berechtigt scheint. Und je stärker er spielt, desto schwerer wird die Demaskierung. Kaum lässt sich sagen, was an Meese und seinen Arbeiten authentisch ist und was nicht.

Das trifft auch auf sein Standing im Kunstbetrieb zu, gegen den er so gern und vehement wettert. Denn Meese wird hoch gehandelt und darf als enfant terrible fast alles – sogar in einem so konservativen Haus wie dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Man schmückt sich gern mit ihm und überlässt die Reflexion über Inhalte dem geneigten Betrachter.

Was Jonathan Meese predigt, ist indes übersichtlich: Kunst ist ein Spiel. Kunst wird irgendwann die einzige Diktatur sein, die die real existierenden ersetzt. Und wenn alle in geschützten Räumen ihre Aggressionen ausleben können, wird man keine Kriege mehr brauchen. So einfach ist das.

Meese selbst trägt zur Befriedung der Welt allerdings nicht viel bei. Er ist lieber Rufer in der Wüste und knüpft Assoziationen; bis zum Paradies ist es weit. Auf Erden sucht er derweil den Kunstbetrieb dadurch ad absurdum zu führen, dass er sich bis zur Erschöpfung inszeniert. Diese Taktik ist nicht schlecht, wenn auch extrem marktkonform: Erschaffe ein Label mit Wiedererkennungswert und vermarkte es effektiv. Auch ein bisschen Rebellentum darf sein. Dann kann der Kunstmarkt dich als Hofnarren halten und sich selbst ein gutes Gewissen machen.

Dass Meeses Kunst – gerade, weil sie ständig mit Entgrenzung arbeitet – echter Ausbrüche aber längst nicht mehr fähig ist, hat der Künstler vielleicht noch nicht so recht bemerkt.

Die Ausstellung „ 24 h Jonathan Meese fotografiert von Peter Hönnemann“ ist bis zum 27. 1. 2008 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.