Die Utopie im Hier und Jetzt

LANDLEBEN Eine Kommune im Wendland betreibt ihre Gärtnerei nach dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft und macht sich so vom Markt unabhängig. Die AbnehmerInnen genießen die Qualität

Alles läuft nach dem Prinzip des Tausches: Es soll nicht ständig gegengerechnet werden

VON NIELS HOLSTEN

Biegt man von der Landstraße ein in das Rundlingsdorf Güstritz im Wendland, befällt einen gleich das Gefühl, in einer anderen Welt angekommen zu sein. In einer Welt, in der man sich nicht voneinander abwendet und große Zäune zu seinen Nachbarn baut. Die im Kreis angeordneten alten Höfe und Gebäude haben einen gemeinsamen Platz und scheinen den, der in ihrer Mitte steht, beschützend zu umarmen. Hier wollten offenbar Menschen zusammenleben, die nach gleichberechtigter Gemeinschaft strebten.

Dass sich gerade hier die sechs Erwachsenen und drei Kinder niederließen, um die Kommune Güstritz und die Gärtnerei Paradieschen zu gründen, kann kein Zufall sein. War es aber, wie Marco Viering erzählt: „Wir hatten zwar schon immer rumgesponnen, dass wir so etwas mal machen wollen – aber später irgendwann.“ Dann erfuhren sie, dass der Hof in dem Rundlingsdorf zu haben war. „Innerhalb von einem halben Jahr haben wir dann alles klargemacht“, sagt der 31-jährige Sozialpädagoge. Das war im März vergangenen Jahres. Seitdem versuchen sie ihre „Utopien im Hier und Jetzt Wirklichkeit werden zu lassen“.

Ein zentraler Ort dieser Utopie ist die Gärtnerei Paradieschen. Mit dem Konzept der solidarischen Landwirtschaft versorgen sich die Kommunarden nicht nur selbst mit Obst, Gemüse und Kräutern, sondern weitere 40 Menschen, die sich zu einer VersorgerInnengemeinschaft zusammengeschlossen haben.

Für den einen Hektar Garten zuständig ist Uta Seifert. Die 31-jährige ausgebildete Demeter-Gärtnerin erklärt das besondere Wirtschaftsmodell: „Ich rechne mir als Betrieb aus, was ich brauche, um die Felder zu bestellen, und wie viele Menschen ich davon ernähren kann. Dann brauche ich Leute, die sagen, wir übernehmen diese Kosten.“ Dies geschieht über einen monatlichen Beitrag, der je nach Geldbeutel zwischen 35 und 55 Euro liegt. „Die Mitglieder sorgen dafür, dass die Gärtnerei bestehen kann und bekommen dafür, was produziert wird“, sagt Uta.

Bekannt geworden ist das Konzept Mitte der 80er Jahre unter dem Namen „Community Supported Agriculture“ (CSA) in den USA. Es geht darum, eine bäuerliche ökologische Landwirtschaft zu erhalten, eine Landwirtschaft, die mit dem Land, den Tieren und den Pflanzen verantwortlich und zukunftsfähig umgeht. Das heißt auch, sich unabhängig von Subventionen und schwankenden Marktpreisen zu machen.

In den USA wirtschaften heute mehr als 2.500 Höfe nach diesem Prinzip. In Deutschland gründete sich in diesem Jahr das „Netzwerk Solidarische Landwirtschaft“ mit zur Zeit 21 Mitgliedern.

In ihrem Paradieschen baut Uta an die 40 Gemüsesorten an. Im Mai geht es mit den Salaten los, im Sommer bearbeitet sie die ganze Vielfalt von Tomaten bis Paprika, und im Winter Lagergemüse, wie Möhren, Steckrüben oder selbst gemachtes Sauerkraut. Montag und Donnerstag sind die Abholtage. In einer kleinen Scheune liegt die Ware für die Mitglieder der VersorgerInnengemeinschaft bereit. Jeder kann sich nehmen, soviel er möchte.

Silvia Habert und Rainer von Hofe spielten lange selber mit dem Gedanken, Gemüse anzubauen, hatten aber nicht die Zeit und auch nicht die Fertigkeiten. Nun finden sie es toll „mit dem Kind spazieren zu gehen, und das Gemüse wachsen zu sehen“. Rainer gefällt auch das wirtschaftliche Prinzip: „Man ermöglicht anderen Menschen, das zu tun, was ihnen liegt. Die geben da ihre Energie rein, und ganz viele können davon direkt profitieren.“ Auch die Qualität sei super: „Regionaler und frischer geht es gar nicht, nobler können wir es gar nicht bekommen“, sagt Rainer. Außerdem gebe es eine enorme Auswahl. Selbst jetzt im Dezember ist der Schuppen voll.

Der Kommune Güstritz ist die direkte Verbindung zwischen denen, die produzieren, und denen die konsumieren wichtig: „So kann ein Bewusstsein für die Produkte entwickelt werden, die regional wachsen, dafür wann sie reif sind, und unter welchen Bedingungen sie angebaut werden“, sagt Marco.

Das Feld wird allein mit Zugpferden und in Handarbeit bestellt. Kein romantisches Ansinnen, sondern wirtschaftlich sinnvoll, wie die Kommune betont – zumindest bis zu einer Fläche von drei Hektar. Die Pferde gehören Kay Stolzenberg, der sie von September bis Mai in der Forstwirtschaft einsetzt, und froh ist, dass sie auch im Sommer bewegt werden. Die Kooperation mit der Kommune ermöglicht es ihm, ein Pferd mehr zu halten.

Überhaupt wird versucht, sich so weit wie möglich in der Region zu vernetzen, um sich gegenseitig zu helfen. „Es gibt Kommunen, die Brot backen, bei anderen werden die hier angebauten Kräuter verarbeitet, eine weitere hat eine Mosterei“, erzählt Marco. Alles läuft nach dem Prinzip des freien Tausches, das heißt, es soll nicht ständig gegengerechnet werden. Sollte sich doch mal jemand übervorteilt fühlen, kann er das auf den regelmäßigen Treffen zur Sprache bringen. Getauscht wird so ziemlich alles. Auf einer Liste steht, wer was hat. Das können Werkzeuge oder Hörspiele sein, aber auch Sprach- und Massagekenntnisse.

In dieser Welt scheint man tatsächlich nach gleichberechtigter Gemeinschaft zu streben. Und so ist die Kommune Güstritz wohl ganz richtig dort, in diesem alten Rundlingsdorf, das so symbolhaft steht für eine andere Art des Zusammenlebens.