Christkind subversiv

Ist die Christenheit noch zu retten? In schöner Regelmäßigkeit feiert sie „alle Jahre wieder“ die Geburt eines Kindes, in dem seine Community den Messias, den Retter zu erkennen glaubt. Geboren in einem Stall bei Bethlehem, die Eltern arme Schlucker. Das war damals schon schwer zu vermitteln und erforderte eine schnelle Eingreif-truppe in Gestalt himmlischer Heerscharen, die den Hirten die Botschaft der Heiligen Nacht eindrucksvoll zu überbringen hatten: „Christ, der Retter ist da …“ Eine Weihnachtspredigt

von Paul Schobel

Einen Retter könnten wir im Moment, da ein Rettungsschirm nach dem andern löchrig wird, dringend gebrauchen. Denn die Welt ist aus den Fugen! Die Politik hat die Macht an die „Märkte“ abgetreten. Ihnen huldigt man mit einer Inbrunst, die selbst die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland noch beschämen könnte. Reagieren die „Märkte“ nervös, wird es höchste Zeit, zum nächsten Gipfel zu eilen. Um sie zu „beruhigen“, werden neue Rettungsschirme aufgespannt. Am besten mit Hebel, einem eingebauten Geldvermehrungsautomaten!

Das wird Standard & Poor's und andere dubiose Institute allerdings nicht daran hindern, erneut die Daumen zu senken und ganze Staaten auf Ramschniveau herunterzu„raten“. Um so mehr erfreuen sich dann die Banken und Börsen steigender Zinsen. Von den Abzockern ganz zu schweigen, die sich in dieser Spielhölle des Weltfinanzsystems an Swaps und CDS gütlich tun. Derweil aber schnüren die rigorosen Sparprogramme den überschuldeten Staaten die Luft zum Leben ab, die Arbeitslosigkeit steigt, und die Jugendlichen sehen dabei einer ungewissen Zukunft entgegen.

Hauptsache, die Kredite werden mit entsprechenden Renditen in die Banken zurückgestopft.

Fast hätte ich nun in diesen realpolitischen Niederungen das neugeborene Kind in Bethlehem aus dem Auge verloren.

Doch mit Verlaub gefragt: Was um Himmels willen soll ein Wickelkind inmitten dieser total durchgeknallten Finanzwelt? Den DAX schert es gewiss nicht. Sollten wir Weihnachten nicht doch besser allein den wirklich Christgläubigen überlassen? Die werden sich schon einen Vers drauf machen!

Selbst hartgesottene Macker werden zu Seelsorgern

Gewiss – aber vielleicht verbirgt sich in dieser von vielen nur als fromme Mär belächelten Weihnachtsgeschichte eine versteckte Botschaft an uns alle. Wenn etwas die Welt verändert, dann ist es ein Kind. Die Geburt eines solchen stellt zumindest den Mikrokosmos der Eltern von heute auf morgen total auf den Kopf. Plötzlich gilt nicht mehr, was vorher galt. Mit einer Dominanz ohnegleichen reglementiert dieses schreiende, lächelnde, auf jeden Fall bedürftige Bündel Mensch den Lebensalltag. Bei den meisten seiner Angehörigen weckt es die Fürsorglichkeit und die Kräfte der Liebe.

Als Seelsorger erkennt man Väter, die sich sonst als hartgesottene Macker an Konsolen und Maschinen, als Verantwortliche in Wirtschaft und Politik oder als Hochfrequenz-Händler bei Banken und Börsen zu schaffen machen, kaum mehr wieder. Statt ständig ihr iPhone zu streicheln und ihr Ego zu kitzeln, gilt nun ihre ganze Zärtlichkeit ihrem Kind. Ihr Gesicht – sonst eher eine banale Benutzeroberfläche – verrät plötzlich menschliche Züge. Funkelnde Augen, aus denen das sonst in ihnen wahrnehmbare Dollarzeichen verschwunden ist. Sie leben nun auf einmal, was sie zuvor in ihrer Arbeitswelt doch nicht einmal fehlerfrei buchstabieren konnten: Liebe.

Ob so was auch „makroökonomisch“ funktionieren könnte? Das Wickelkind als Leitbild für Wirtschaft und Politik? Das würde bedeuten, sämtliche Entscheidungen an der Bedürftigkeit der Menschen auszurichten. Das schöne Foto der süßen Kleinen – von den Eltern im Portemonnaie versteckt und nur heimlich mal vorgezeigt – klebte nun gut sichtbar auf jedem Computer, es zierte Aktendeckel und Maschinen, Sitzungsräume und Plenarsäle, und erinnerte allenthalben daran, dass es in Wirtschaft und Politik ausschließlich um das Leben geht, um „gutes Leben“ für alle.

Kapitaleinsatz an Bedürfnissen der Menschen ausrichten

Neue Anreizsysteme belohnen ab sofort in der Wirtschaft nur noch nachhaltige und lebensdienliche Produkte und Produktionen, Tariftreue, gerechte Arbeitsentgelte, Investitionen in Bildung und Weiterbildung. Die absoluten Renner sind personennahe Dienstleistungen in Erziehung und Pflege. Eine neue öffentlich kontrollierte Ratingagentur „Human & Social“ verleiht ihr Triple A nur noch an ethische Banken und ratet als Erstes die Waffenschmieden gegen null.

Das Investmentbanking verschwindet wieder über Nacht, wie es gekommen war. Man hat es nie gebraucht und wird es auch nie brauchen, denn Kapital ist nun wieder rigide an die Realwirtschaft gekoppelt und unterliegt „brutalstmöglicher“ Kontrolle. In den Casinos gehen die Lichter aus, betrübt investieren Spekulanten und Kredithaie mit minimalen Renditen in soziale Projekte! In den Börsensälen von gestern werden nun hochfrequent Hilfslieferungen für Not leidende Völker organisiert. Die horrenden Finanzmittel der Heuschrecken werden in allen Ländern in umlagefinanzierte Sicherungssysteme eingebracht.

Ein Säugling als Leitbild für Wirtschaft und Politik?

Das würde der Kapitalismus nicht überleben! Sich nicht mehr ausschließlich nach Renditen zu strecken, sondern Kapitaleinsatz an den Bedürfnissen der Menschen und natürlich auch der Schöpfung auszurichten – damit ist er schlechterdings überfordert. Er würde – wie einst die Dinosaurier seligen Angedenkens – ganz einfach vom Erdboden verschwinden. Zu viel Masse, zu wenig Hirn! Das bisschen Kapitallogik reicht als Software schon lange nicht mehr aus, um eine gerechte und menschenwürdige Weltgesellschaft auszugestalten.

Weihnachten als ein subversives, revolutionäres Fest

Mit diesen irren Federstrichen habe ich das Paradox der Weihnachtsbotschaft andeutungsweise in die gesellschaftliche Wirklichkeit hinein ver-rückt. Was die Christenheit aller Konfessionen in der sogenannten Heiligen Nacht feiert, ist nämlich verrückt und im höchsten Maße paradox: Gott wird Mensch, der erwartete Messias zum Kind, dem Könige huldigen.

Das ist die Umkehr aller bestehenden Verhältnisse. Weihnachten ist ein revolutionäres, ein subversives Fest.

Wie sehr wünschte ich mir, die Kirchen würden, wären sie nicht bis zum Überdruss ständig mit sich selbst beschäftigt, das Paradox des „herunter gekommenen“ Gottes in die Gesellschaft hinein entschlüsseln und für die Umkehr der Dinge sorgen. Denn das besingen sie in ihren Liedern und betrachten sie in tausend Symbolen der Weihnachtszeit. Der Apostel Paulus bringt es einmal auf den Punkt: „Das Schwache hat Gott erwählt, um die Stärke der Starken zunichte zu machen …“ (1. Korinther 1,27).

Zuwendung, Nähe, Zärtlichkeit. Die Sprache der Liebe

Wenn etwas die Welt verändert, dann ist es ein Kind. Es will Zuwendung, Nähe, Zärtlichkeit. Es hört nicht auf kluge, sondern auf Worte, die von Herzen kommen. Es versteht nur die Sprache der Liebe.

Wir würden die Welt verändern, wenn wir uns auf diese Sprache und in dieser Sprache verständigen würden.