Der Bock der Gärtnerin

Schleichwerbegegner müssen jetzt ganz besonders stark sein: Denn nach dem Fall Andrea Kiewel kommt man zu dem erschreckenden Ergebnis, dass ARD und ZDF auffällig gutmütig sind. Na und?

VON STEFFEN GRIMBERG

Es war eine dreiste Lüge einer gewichtsbewussten ZDF- und MDR-Moderatorin. Und sonst? Was sollte Andrea Kiewel, Oberbaumpflegerin des „Fernsehgartens“ (ZDF) und Hilfsbootsfrau beim MDR-„Riverboat“ anderes antworten, damals bei „Kerner“, als selbst dem die dauernde Gewichtsbetrachtung der Weight-Watcherin auffiel?

Ausgerechnet Johannes B. Kerner, der sich spätestens dank seines Einsatzes für den Börsengang der Fluggesellschaft Air Berlin 2006 mit Schleichwerbeverboten bestens auskennt? Damals, am 23. Januar 2007, hatte Kiewel auf die Frage, ob es eine vertragliche Beziehung zwischen ihr und der Firma Weight Watchers Deutschland gäbe, „natürlich nicht“ geantwortet. Das, so gab Kiewel – im Anstaltsjargon liebevoll „Kiwi“ genannt – schon am Donnerstag zu, war ein Fehler. Der sie nun den Kopf gekostet hat: ZDF wie MDR erklärten am Freitag ihre Zusammenarbeit mit ihr für beendet.

Wie gesagt: am 21. Dezember. Die „Kerner“-Sendung, auch das sei zum besseren Verständnis noch einmal wiederholt, lief am 23. Januar, also vor genau 332 Tagen. Und was sagt der Sender-Intendant? „Schleichwerbung in Sendungen des ZDF ist nicht akzeptabel“, sagt ZDF-Chef Markus Schächter, und dass „die Auftritte von Andrea Kiewel in mehreren Sendungen in Verbindung mit den jetzt bekannt geworden Details ihres PR-Vertrages mit der Organisation Weight Watchers“ nun „die Vertrauensbasis zwischen uns zerstört“ hätten.

„Jetzt bekannt geworden“ ist wirklich hübsch. Denn wenn einem selbst schon Dampfschleimer wie Kerner auf die Schliche kommen – und nichts passiert? Nichts passiert bei Sendern, die seit den Großschleichwerbeskandalen 2003 (ZDF) und 2004 (ARD) alle interne Schleichwerbe-Prüfstellen und dergleichen mehr eingerichtet und „Wehret den Anfängen“ gelobt haben?

Wenn man wie Kiewel auch bei „Riverboat“ oder als Gast bei „Harald Schmidt“ seine Gewichtswächter-Elogen einfach so los wird? – Dann macht man einfach weiter. Und die Sendergewaltigen bekommen so lange nichts mit, bis sie jemand mit der Nase draufstößt.

Ein Trost: Privatsender würden wenigstens zusehen, dass, wenn schon schleichgeworben wird, die Kohle bei ihnen landet – und nicht in den Taschen irgendwelcher ModeratorInnen. Außerdem drohen dem kommerziellen Fernsehen, falls es unerlaubter Werbung überführt wird, empfindliche Geldbußen. Die Öffentlich-Rechtlichen muss das nicht schrecken: Strafzahlungen sind hier unbekannt, diese müssten schließlich aus der Rundfunkgebühr bezahlt werden.

Aber wer verliert im aktuellen Weight-Watchers-Fall – außer „Kiwi“ Kiewel – wirklich etwas? In diesem Possenspiel zwischen PR-begabten Gewichts-Heilsbringern, seriös-journalistischen Top-Sendungen wie „Kerner“ und den angeschlossenen Kochshows? Richtig: Die Gelackmeierten sind in erster Linie die Leute von der Brigitte-Diät, denn die kommt aktuell kaum vor im deutschen Fernsehen.

Kiewels einziger Fehler war, dass sie sich von den Weight Watchers als konspirative Werbebotin hat nutzen lassen. Sollte sie, wie es ihr Management immer noch darstellt, beispielsweise für den „Kerner“-Auftritt nicht noch mal extra kassiert haben, war sie dazu auch noch rechtschaffen dämlich. Hätte sie dagegen mit den geschäftstüchtigen Diät-Vermarktern auf Augenhöhe gearbeitet, wäre das alles nicht passiert: Ein von den Weight Watchern mit Gütesiegel versehenes eigenes „Kiewel kocht“-Brevier hätte sie vermutlich in jede Kamera halten dürfen. Und daran wohl mehr verdient als das nach Medienberichten niedrig-fünfstellige PR-Honorar der Gewichtshüter.

Da nun mal wieder die Kinder im Brunnen liegen, ein Vorschlag zur Güte: Ja, Product Placement bleibt auch in der neuen EU-Fernsehrichtlinie, die ab 2009 die Spielregeln für TV-Sender in der EU neu fasst, verboten. Auf ausdrücklich deutschen Wunsch übrigens. Dieser „Sieg“ ist allerdings ähnlich erfolgreich wie die Selbstreinigung deutscher Sender in Sachen Schleichwerbung: Per EU-weiter Ausnahmeklausel erlaubt wird die Produktplatzierung nämlich in allen Sendungen mit der – vernünftigen – Ausnahme von Nachrichten, Polit-Magazinen und dem Kinderprogramm.

In Österreich entspricht dies schon länger der Rechtslage, ohne dass sich die ORF-„Tatorte“ entschieden verbessert hätten, die gesamte USA produktplatziert, und Deutschland? Deutschland lügt sich wie so gerne eins in die Tasche: Hier ist ARD und ZDF Werbung nach 20 Uhr verboten und heißt deshalb Sponsoring. Produktplatzierung gibt es auch nicht, dafür waren bis vor zwei, drei Jahren „Produktionsbestellungen“ oder „Kooperationen mit Dritten“ noch fest im TV-Wortschatz verankert – und auch heute kostet es nichts, wenn der „Landarzt“ einen neuen Wagen braucht: Die Autoindustrie betreibt solche „Kulturförderung“ immer noch sehr gern – und nicht nur sie. Vom peinlichen „Ich hab ne neue CD/Buch/Kind gemacht und halte der/die/das jetzt mal in die Kamera“-Auftritten in diversen Talkshows natürlich ganz zu schweigen.

Vielleicht sollte Deutschland also tatsächlich die Schleichwerbung abschaffen – in dem man gekennzeichnete Produktplatzierung zulässt. Sonst steht uns noch so manche „Lange ZDF-Gruselnacht“ bevor – die Sendung gab’s 2005 wirklich. Moderiert von niemand anderem als Andrea Kiewel.

Doch das Mainz bliebe nicht Mainz, wenn das ZDF nicht auch hier noch einen draufsetzen könnte: Es wiederholte am Tag vor dem Rauswurf – alle Vorwürfe lagen schon auf dem Tisch – einfach noch mal die Kochsendung „Lafer, Lichter, Lecker“. Stargast: natürlich Andrea K. und die Weight Watchers.