DAS DING, DAS KOMMT
: Gerät mit Eigensinn

Der LAUTSPRECHER tritt ab Ostern plötzlich in Massen auf: bei den jahreszeittypischen Friedensmärschen, im Bremer Bürgerschaftswahlkampf – und in Hamburg auf der Opernbühne.

Das Ding, das die Macht des Sprechers erhöhen soll, entwickelt stattdessen seinen eigenen Klang

Wer weiß, dass das unterm Trivialnamen Lautsprecher bekannte, vor 90 Jahren erstmals der Weltöffentlichkeit präsentierte Gerät richtiger „Wandler“ heißen müsste, der versteht: Die große Zeit des Lautsprechers muss um Ostern beginnen. Der Frühling macht ja alles neu. Er wandelt Samen in Keime, Eier in Raupen, Leichen in Verschwundene – warum dann nicht elektrische Signale in Schallwellen?

In Bremen natürlich ist die Lautsprecher-Saison dieses Jahr besonders ergiebig, wegen des Wahlkampfs: Die Zeit der Promi-Termine beginnt. Die CDU macht am Donnerstag dieser Woche im Schuppen Zwo Rambazamba, die SPD lässt am Freitag im Schlachthof ihre Ministerpräsidenten Erwin Sellering, Olaf Scholz und Stephan Weil ins Mikrofon sagen, dass sie sich Jens Böhrnsen auch in Zukunft als Kollegen wünschen – und die Lautsprecher kesseln das kämpferisch in die Kesselhalle.

Überparteilich aber treten die Geräte schon ab Karfreitag im Freiland auf, bei zig Ostermärschen zwischen Bramstedt und Hannover. Dort verwandeln sie honorige Gemeinplätze aus der downloadbaren Musterrede – „Es wird endlich Zeit, dass die Menschheit reagiert und diesen Wahnsinn beendet!“ –, aber leider auch oft genug individuelle Ressentiments dank aleatorischer Sprotz- und Pfeifgeräusche in appellative Klänge, deren Sinn dabei auch mal im Dunkeln bleiben darf.

Und so zeigt sich – wäre das nicht die Erfüllung eines jeden Geräts? – ein Zug zur Autonomie: Das Ding, das durch Lautstärke die Macht und Autorität des Sprechers erhöhen soll, entwickelt seinen eigenen Klang, wird eigensinnig, zur Person – ein Potenzial, das auszuloten Kunst erfordert: Dario Quiñones heißt der Hamburger Komponist, der die traurige Geschichte von „Pyramus und Thisbe“ neu bearbeitet hat. Die steht bei Ovid: Weil die Väter die Beziehung der beiden verbieten, lieben Pyramus und Thisbe einander durch einen Riss in der die Elternhäuser trennenden Wand. Der Versuch einer Outdoor-Begegnung geht blutig schief.

Johann Adolph Hasse, im 18. Jahrhundert ein Weltstar und bis heute noch vor Biggi Bardot der bedeutendste Bergedorfer, formte den Stoff 1763 zu einer kurzen Oper. Regie-Talent Benjamin van Bebber hat sie im Sprechwerk inszeniert. Die Rolle des Vaters aber hat Quiñones aus der spätbarocken Partitur gelöst und in fahrbare und tönende Autoritätsmaschinen verwandelt. Am Freitagabend entfaltet sich diese wohl eigenwilligste Blüte des diesjährigen Lautsprecherfrühlings.  BES

„Pyramus und Thisbe“, Premiere: Fr, 10. April, 20 Uhr, Sprechwerk, Hamburg