Das finstere Muttialter, werden sie mal sagen

Wenn ein Flugzeug abstürzt, dann berichten die Medien darüber. Manche Artikel wirken etwas sensationslüstern, was Leute dazu animiert, sie zu lesen, und ein Teil der Leute, die zur Lektüre des sensationslüsternen Artikels verführt wurden, echauffiert sich dann über die sensationslüsternen Artikel.

Auf Facebook bestätigen sich die verschiedenen Leserinnen und Leser der sensationslüsternen Artikel dann in ihrer Empörung über das Sensationslüsterne, zu dessen Lektüre sie offenbar jemand gezwungen hat. Und am Ende stimmen dann auch noch die Journalisten ein. Die Medien diskutieren dann in den Medien über die Schrecklichkeiten der Medien, wenn nicht sogar über die Fragwürdigkeiten des kritischen Diskurses über die Medien. Sie wissen ja: Diskurs ist ein eleganteres Wort für Gelaber.

Zufällig gerade wieder einen alten Baudrillard-Text gelesen: „Die Medien sind terroristisch auf ihre Weise: Pausenlos sind sie tätig, um Sinn zu produzieren, den sie gleichzeitig gewaltsam wieder zerstören, indem sie überall skrupellose Faszination erzeugen, Lähmung des Sinns also. […] Daher die Überlegenheit des Schockjournalismus über den Ideenjournalismus oder ‚kritischen‘ Journalismus.“

Nein, ich will nicht den hundertsten Beitrag zum öden Selbstgespräch einer Branche liefern. Es ist ja nicht nur der Begriff des kritischen Journalismus, den Jean Baudrillard hier noch wie selbstverständlich benützt, aus der Mode geraten.

Es ist ja die ganze Lebenshaltung dahinter verschwunden. Wer trendy sein will, muss lässige Neutralität ausstrahlen, zu allem eine ironische Haltung haben, nur ja nicht Partei ergreifen.

Oder, wenn er oder sie es dennoch tut, sofort eine ironische Haltung zum Parteiergreifen einnehmen. Im Sinne von: wenn schon, dann natürlich augenzwinkernd. Und man braucht den bestimmten Sound, der sofort erkennen lässt: Ich nehme natürlich nichts wirklich ernst. Wenn man sich einen ausgeprägten Zynismus zulegt, ist man stets auf der sicheren Seite.

Und dann stolpert man über solche Sätze wie in der endlich wieder aufgelegten Gramsci-Biografie Giuseppe Fioris.

Der zitiert aus einem Artikel des legendären sardischen Kommunisten: „Wie Friedrich Hebbel glaube ich: ‚Leben heißt Partei ergreifen.‘ […] Gleichgültigkeit ist ein mächtiger Faktor in der Geschichte. […] Deswegen hasse ich die, die nicht Partei ergreifen, die gleichgültig sind.“ Nun gut, Hass verzerrt auch die Züge. Man muss ja nicht gleich hassen sagen.

Aber ein bisschen verabscheuungswürdig sind sie schon: die, die sich nie für etwas begeistern oder in die Bresche werfen, weil das doch uncool ist. Die die angesagten Meinungen als die ihren ausgeben und versuchen, sich nicht zu weit von der gerade aktuellen Haltung der Elite zu entfernen, weil man ja nur dann als seriös und professionell gilt; die Merkel sehr beeindruckend finden, Gewerkschafter beispielsweise aber dann doch viel zu unmodern; die den ernstesten Dingen nur mit ihren blöden Witzchen begegnen können; die für Unrecht nur ein Schulterzucken bereithaben; die allenfalls unmerklich die Achseln heben, wenn in Griechenland Kranke sterben, weil sie keine Versicherung mehr haben. Die dafür immer überall mitblöken und mitlaufen, mittun, und sich das alles am Ende auch noch schönreden; die emsigen Anzugträger, aber auch die, die sich ein Image des Unkonventionellen an den Leib schneidern, freilich nur im Rahmen des Erlaubten, sodass das dem privaten Fortkommen nicht schaden kann; all die, die täglich daran mitzimmern, dass alles so bleibt, wie es ist.

Ja, er hatte recht, der Antonio Gramsci: Gleichgültigkeit ist ein mächtiger Faktor in der Geschichte. Und die Feigheit. Und die Bequemlichkeit. Und die Selbstverleugnung.

Sie finden, mit meiner kleinen Tirade gehe ich etwas zu weit? Ach, wo viele viel zur kurz treten, gehe ich gerne entschieden zu weit. Und, nur damit wir das auch geklärt haben: Ich bin nicht humorlos. Die radikale Gesellschaftskritik heute muss sich ja als Humor tarnen. Von Jon Stewart bis zur „Anstalt“, es sind die Satiresendungen die im Fernsehen jene grundlegende Information liefern, die man aus den „Tagesthemen“ oder den Polittalkshows kaum mehr erhält.

Spätere Historiker, haben sie in der „Anstalt“ zuletzt gewitzelt, werden unsere Gegenwart wohl „das finstere Muttialter“ nennen. Okay, ein bisschen sexistisch. Okay, nicht total korrekt.

Sorry, Frau Merkel, trotzdem lustig. Die Bundeskanzlerin musste sich im Spiegel sogar von Bernard-Henri Lévy verteidigen lassen.

Ich bin ja an sich nicht sonderlich schadenfroh, aber in dem Fall würde ich dann doch sagen: Geschieht ihr recht.

ROBERT MISIK