berliner szenen Fest der Liebe

Der Ziegenbartmann

„Frohe Weihnachten!“, ruft es von der anderen Straßenseite. Ich blicke hinüber und merke schnell, dass nicht ich gemeint bin. Eine junge Frau winkt zwei Männern zu, die wenige Meter vor mir gehen. Vor einem Hauseingang bleiben die beiden stehen, während die Frau bereits um die nächste Häuserecke verschwunden ist.

„Selber, blöde Ziege. Bin froh, dass ich mit dir nicht mehr feiern muss“, höre ich einen der beiden sagen. Ich versuche, möglichst unauffälig zu lauschen, hole das Handy aus der Tasche und tue so, als würde ich telefonieren. „Mit jemandem, der mich wegen so einem Ziegenbart-Oberspacko sitzen lässt, will ich sowieso nicht mehr zusammen sein“, geht es weiter, „und feiern schon gar nicht. Soll ruhig zu dem Langweiler gehen. Wird schon sehen, was sie davon hat. Und von wegen Fest der Liebe. Ordentlich zur Sache gehen wird’s unterm Christbaum. Tolle Bescherung. ‚Ach, das wollte ich schon immer mal haben!‘, wird sie sagen. Zum Quicky oder zu den anderen Geschenken. Jedes Jahr derselbe Spruch. Irgendwie langweilig. Irgendwann wird er auf dem Sofa den Arm um sie legen, und dann werden sie sich einbilden, dass sie glücklich sind. Das tun alle in der Phase, verstehste?“

Der andere nickte. „Aber nicht alle haben eine Niete wie den gezogen. Der war schon in der Schule so’n Großmaul. Saß erste Reihe und war kräftig am rumschleimen. Na ja, was soll’s. Ist ja nicht mein Problem. Soll nur nicht irgendwann heulend ankommen und mich um Verzeihung bitten. Nee, da bin ich dann knallhart. Da warten andere schon viel länger. Außerdem hat sie dann viel zu sehr an Wert verloren. Dadurch, dass sie mit dem zusammen war.“ „Schon klar“, sagt der andere und öffnet die Tür.

JOCHEN WEEBER