Der Fürst will sein Leben ändern

THEATER Am Hans Otto Theater in Potsdam hat Tobias Wellemeyer „Auferstehung“ inszeniert, nach einem Roman von Leo Tolstoi

Die Tanten amüsieren sich prächtig. Bonbonfarben schwingen ihre gigantischen Reifröcke wie Glocken, während sie auf Rollschuhen ihren Neffen umkreisen, den Fürsten Dmitrji Iwanowitsch Nechliudow. Was hat der Junge sich nur ausgedacht, die Welt will er verbessern! Reist einer zur Zwangsarbeit verurteilten Prostituierten nach und will sie gar heiraten, weil er sich an ihrem Schicksal schuldig fühlt. Mitleidig ist ihr Lächeln. Aber geschmeichelt fühlen sie sich auch, weil Nechliudow sie um Hilfe bittet, könnten sie nicht die eine oder andere Beziehung spielen lassen? Ihre Eitelkeit ist größer als die Furcht, dass der Fürst etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern könnte.

Gar nicht amüsieren sich die Bauern. Furchtsam reagieren sie auf Nechliudows Wunsch, ihnen sein Land zu schenken, damit sie es als Gemeinschaft bewirtschaften können. Veränderung macht Angst. Wie Karikaturen von armen und ungebildeten Bauern, erdverschmiert und gebeugt, steht da das Ensemble des Hans Otto Theaters in Potsdam auf der Bühne und wehrt die Vorschläge Nechliudows ab.

Der Fürst ist die Hauptfigur in Tolstois Roman „Auferstehung“, den Tobias Wellemeyer, Regisseur und Intendant in Potsdam, zusammen mit dem Dramaturgen Remsi Al Khalisi für die Bühne bearbeitet hat. Wolfgang Vogler verkörpert den Fürsten als einen gutmütigen Toren, den am Ende seiner Jugend plötzlich das Gewissen packt. Er will sein Leben ändern, Verantwortung zeigen. Was folgt, gleicht einem Stationen-Drama, der Durchquerung von verschiedenen Milieus, – im Gericht, im Gefängnis, unter den Adligen, bei den Bauern und Zwangsarbeitern. Überall diskutiert Nechliudow seine Ansichten, fast niemand geht auf ihn ein. Die Opfer, die er bringen will – Verzicht auf sein Land, Verzicht auf seine Privilegien und sein Lotterleben –, niemand will sie haben. Selbst die Prostituierte Maslowa, die er durch das Angebot einer Heirat zu retten können glaubt, sieht darin keinen Sinn.

Der Schriftsteller Leo Tolstoi verhandelte in diesem Roman seine eigenen Zweifel an der Berechtigung seines gesellschaftlichen Status als Landbesitzer und der erstarrten Hierarchie der russischen Gesellschaft. Das war für ihn auch eine metaphysische Krise; er verzweifelte an der Unmöglichkeit, theoretische Ideale sinnvoll in der Praxis zu realisieren. Das macht den Roman und die Inszenierung interessant.

Doch merkt man auch, dass bei der Übertragung der Prosa in dialogische Szenen viel auf der Strecke geblieben ist. Die kurzen Passagen, wenn die Schauspieler ins Erzählen und Beschreiben geraten, nah an der Sprache des Romans, atmen so viel mehr von einem anderen Lebensgefühl, einem anderen Maß der Zeit als die gedrängten und oft auch etwas hektisch gespielten Dialoge. Während man sich anfangs in der drei Stunden langen Inszenierung allein schon durch die spannende Geschichte gut unterhalten fühlt und Bilder und Texte grade durch ihre Abweichungen voneinander spielerische Akzente setzen, stellt sich gegen Ende Ermüdung ein. Zu viel Personal rauscht vorüber, der erzählerische Rhythmus wird geopfert, weil das und dies jetzt auch noch erzählt werden muss. Von der Leichtigkeit des Anfangs ist man da weit entfernt und weit scheint es dann auch von Tolstoi in die Gegenwart.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Hans Otto Theater Potsdam, wieder am 14. April, 8./16./17. Mai