Angeblicher Mord wegen angeblicher Vergewaltigung

JUSTIZ In Freiburg beginnt der Prozess gegen einen 18-Jährigen und seinen Vater. Sie sollen einen Wohnungslosen erstochen haben

KARLSRUHE taz | Es war offenbar eine Tat aus Rache. Am 18. Juni 2014 lockte Akram Y. Patrick H. auf einen Pendlerparkplatz bei Neuenburg, südlich von Freiburg. Dort soll er den Mann mit 23 Messerstichen getötet haben. Mittäter sind ein 21-Jähriger, der das Opfer festgehalten haben soll, sowie Akram Y.s Vater.

Der Fall von Selbstjustiz an dem wohnsitzlosen Mann auf dem Pendlerparkplatz nahe der A5 ging im vergangenen Jahr durch die Presse.

Am heutigen Mittwoch kommt der Fall vor das Landgericht Freiburg. Der mutmaßliche Lynchmord soll die Vergeltung für eine Vergewaltigung der Schwester von Akram Y. gewesen sein. Die 26-jährige Dila soll von Patrick H. eine knappe Woche zuvor vergewaltigt worden sein. Da der Hauptangeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war, wird vor der Jugendkammer verhandelt. Dennoch drohen allen Angeklagten hohe Haftstrafen. Die Staatsanwaltschaft geht von vorsätzlichem Mord aus. Nach Jugendstrafrecht droht dem Sohn eine Höchststrafe von zehn Jahren, der Vater könnte mit einer lebenslangen Haft rechnen. Außerdem ist ein weiterer Freund von Akram Y. angeklagt. Er soll über WhatsApp den Kontakt zu Patrick H. hergestellt haben. Ob er von der geplanten Tötung wusste, ist noch unklar.

Der Fall ist nach allem, was man weiß, kein typischer Ehrenmord. Die richten sich laut Experten meistens gegen Familienmitglieder. Ein solcher Fall von Selbstjustiz wie in Neuenburg ist dagegen höchst selten.

Die Tat passt auch nicht in das Klischee von Gewalt krimineller Clans. Die Familie Y. ist polizeilich bisher unauffällig gewesen. Der heute 18-jährige Akram Y. wurde 1997 in Müllheim geboren und hatte die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Vater wohnte zeitweise im Libanon, in Deutschland arbeitete er gelegentlich als Lastwagenfahrer.

Auch wenn die genauen Hintergründe noch unklar sind, besteht über das Motiv von Akram Y. offenbar kein Zweifel. So hat Akrams Schwester Dila in einem Interview gesagt, ihr Bruder hätte es „für mich getan, für seine Schwester“. Der Vater dagegen habe die Polizei davor gewarnt, der Sohn könnte gegenüber Patrick H. gewalttätig werden.

Polizei und Staatsanwaltschaft bestreiten diese Darstellung. Aus Rücksicht vor dem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer hatten die Behörden verdeckt gegen Patrick H. ermittelt. Eine entscheidende Frage wird daher in der Verhandlung die Rolle des Vaters sein. Ist er Mittäter? Oder hat er versucht, die Tat zu verhindern?

Das Gericht erwartet offenbar eine zeitintensive Beweisaufnahme. Bis Juli wurden 18 Verhandlungstermine angekündigt. Die Eltern und Geschwister des Opfers sind im Prozess als Nebenkläger vertreten.

BENNO STIEBER