Wider den menschlichen Faktor

An der Universität Bremen wurde das größte deutsche Testcenter für elektronische Klausuren eröffnet. Es soll nicht nur für billigere, sondern auch für gerechtere und schnellere Prüfungen sorgen

von Jan Zier

Mehr als 500 StudienanfängerInnen betreut Georg Müller-Christ, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bremen, im laufenden Wintersemester. Woche für Woche. Das macht, zum Ende, auch mehr als 500 Prüfungen. Und zwar: Dieselben Prüfungen. Dieselben Fragen. Und, wenn alles gut geht, sogar dieselben Antworten. Abends dann, bei der Korrektur, sagt Müller-Christ, beim ersten Glas Wein, „da wird man dann schon großzügiger“. Und beim vierten, spätestens, „milde“. Will nur noch fertig werden. Der „menschliche Faktor“ eben, wie das etwas soziologisch heißt. Doch damit soll es jetzt ein Ende haben. Müller-Christ – zugleich stellvertretender Leiter des Zentrums für Multimedia in der Lehre (ZMML) – hat in den vergangenen Jahren selbst mit dafür gesorgt. Im wohlverstandenen Eigeninteresse.

Und so hat die Uni Bremen jetzt das nach eigenen Angaben größte deutsche Testcenter für elektronische Klausuren. Einen Raum von erstaunlicher Stille, mit 120 Rechner-Arbeitsplätzen, die im ehemaligen Senatsaal der Uni-Bibliothek in acht Reihen dicht an dicht nebeneinanderstehen. „Tastatur und Maus statt Stift und Papier“ – so stellt man sich hier “moderne Prüfungssituationen“ vor.

Und das hat „unglaublich viele Vorteile“, sagt Ilse Helbrecht, Konrektorin für Lehre und Forschung. Zum Beispiel, weil elektronische Prüfungen „gerechter“ seien. Also den menschlichen Risikofaktor außen vor ließen: Der Computer kennt keine Ermessensentscheidungen. Diese „Standardisierung“ sei ein Akt der „Fairness“, sagt Helbrecht, „mathematisch korrekt und präzise“. Und schneller geht es auch: Denn wer hier geprüft wird, erfährt auch gleich sein Ergebnis. Durchgefallen oder nicht, das ist dann prinzipiell nur noch eine Frage von Minuten. Die bangen Tage des Wartens, sie sollen in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Testcenter ein Ende finden. Eine e-Klausur mit 400 TeilnehmerInnen spart schon rund 15 Arbeitstage, hat das ZMML errechnet.

Und nebenbei, sagt Helbrecht, will die Uni natürlich auch Geld sparen, und – „langfristig“ jedenfalls – günstiger prüfen, auch wenn zunächst 550.000 Euro investiert werden mussten. Müller-Christ sieht das anders, als Betriebswirtschaftler: Es würden „keine Kosten gespart“, sagt er, sondern nur „Überlasten abgebaut“, vor allem bei den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die bislang einen Gutteil der Klausuren zu korrigieren hatten.

Eingesetzt werden die elektronischen Klausuren vor allem dort, wo es um eher lexikalisches, leicht abzuprüfendes Grundlagenwissen geht, also im Grundstudium, und hier vor allem in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch in den großen Fächern der Erziehungs-, Human- und Gesundheitswissenschaften sowie bei Eingangsprüfungen, etwa bei den Mathematikern. „Sie können wichtige mündliche und schriftliche Prüfungen nicht ersetzen“, sagt auch Helbrecht, würden eher als „Ergänzung“ verstanden. Es geht dabei beileibe nicht nur, aber eben auch um Multiple-Choice-Fragen. Die Qualität der Prüfungen steigt mit den e-Klausuren, sagt Helbrecht.

Bislang mussten „im Extremfall“ bis zu 1.000 angehende Ökonomen ein und dieselbe Prüfung durchlaufen. Seit dem Wintersemester 2004 /05 wird deshalb auch elektronisch geprüft, insgesamt 69 Prüfungen aus fünf Fachbereichen sind bislang schon gelaufen, vornehmlich in den Wirtschaftswissenschaften. Fast 15.000 Bachelor-Studierende hatten sich dafür angemeldet, knapp drei Viertel sind dann auch vor den Rechnern erschienen. Ein normaler Schwund, sagt die Uni.

Und die Erfahrungen der durchschnittlich 216 Prüflinge waren positiv, sagt das ZMML, das die Studierenden ganz offiziell danach gefragt hat, und auch Daten seien „nie“ verloren gegangen. Natürlich werde auch im elektronischen Prüfungszeitalter „geschummelt“, das sagt auch das ZMML, aber andererseits sei die Gefahr „auch nicht größer als bisher“.

Eine Ausweitung auf andere Fächer, in denen beispielsweise auch audiovisuelles Verständnis gefragt ist, Musik- oder Sprachwissenschaften etwa, ist bereits in Arbeit – aber noch nicht ganz serienreif. Noch schwieriger wird es bei anderen Geisteswissenschaften, in denen traditionell mehr die Fähigkeit zur Reflexion gefragt ist, oder die eigene, die wortgewandte Diskussion. Ihnen bleibt der „menschliche Faktor“ wohl auch weiterhin erhalten.