WARUM FÄHRT SIE NICHT EINFACH WEITER, AN DIESEM WUNDERSCHÖNEN SONNIGEN SCHEISSTAG?: Buddhismus für ganz Arme
LIEBLING DER MASSEN
Es ist ein wunderschöner sonniger Frühlingstag. Zum Glück aber haben am späten Morgen schon genügend Gute-Laune-Killer ihren Dienst aufgenommen, sonst müsste man am Ende noch Angst haben, dass es einem zu gut geht. Eine Mentalität, die mich strahlend die ganze Welt umarmen lässt, kann ich mir nicht leisten: Das würde komplett meine Kunstfigur zerstören. Ich bin doch schließlich der böse Mann. Das denken alle, das ist mein über Jahre ausgefeiltes Role-Model als engstirniger, cholerischer und bösartiger Schreiber. Wenn die Idioten, sorry, die geneigten Leser wüssten, dass ich in Wahrheit ein hochsensibler Weichschnuffelhase (mein Kosename im Freundeskreis) bin, der keiner Fliege etwas zuleide tut, wäre ich künstlerisch erledigt.
Doch jetzt bin ich gerade in der Tat ein böser Mann. Und zwar trotz des Sonnenscheins. Denn so eine verschissene junge Alte, die Kopfhörer voller Scheißmusik oder neoliberaler Podcasts mit extra fiesen Tipps zur Weltverschlechterung, braust mir auf dem Bürgersteig um ein Haar ungebremst über die Füße. Ich sage „O Mann, ey“ und hebe resigniert die Ärmchen.
Sie hält zwanzig Meter weiter und dreht sich um, nur um mich zu fragen, warum ich mich so aufrege. Und gerade das ist nun der Anlass, der mich wirklich aufregt. Von so einer ichbezogenen Ische erwarte ich gar nicht, dass sie sich in ältere Menschen hineinversetzt, die nun mal leichter erschrecken und schlechter reagieren können. Soll sie sich doch scheiße benehmen und das hinterher merken oder nicht. Das ist mir egal. Und wenn sie es bemerkt, soll sie sich entschuldigen oder nicht. Vielen fällt das ja schwer. Ist mir also ebenfalls egal. Ich kenne sie ja nicht und will so jemanden auch nicht kennenlernen.
Aber dass sie erst versucht, mich umzubringen, und dann auch noch die Scheiße in ihrem Hirn auf meinem Herzen ablädt, ist mir echt zu viel. Daher fühle ich mich bemüßigt, sie lautstark darüber zu informieren, dass es sich bei ihr um eine „Blöde Sau“ handelt. Das scheint sie offenbar noch nicht zu wissen. Also muss ich es ihr sagen, damit sie in Zukunft mit dieser Hypothese arbeiten kann. Wie vermag man seine Dummheit und Rücksichtslosigkeit bloß für ein derart verteidigenswertes Gut zu halten? Warum fährt sie nicht wenigstens einfach weiter, an diesem wunderschönen sonnigen Scheißtag?
Aha, um mir nun einen „wunderschönen, sonnigen Tag“ zu wünschen. Das wirkt auf den ersten Blick buddhistisch. Doch es ist ein Buddhismus für ganz Arme, wie ihre schwer unterdrückte Schnappatmung verrät. Unsere Seelen sind nun beide vergiftet, doch sie hat angefangen: Mit ihrem Karma einer Ellbogenassel hat sie mir das Karma eines kläffenden Köters verschafft. Nun versucht sie es mit Hohn und Vortäuschung von Gelassenheit, die auch nur der Verhöhnung dient. Einen Anflug von Versöhnlichkeit nähme ich ihr jedenfalls nicht ab. Kann sie sich auch sparen. Kann sie sich alles komplett schenken, nein danke, vielen Dank, jetzt ist Krieg. Und den gewinne ich. „Deinen sonnigen Tag kannst du dir wunderschön in den Arsch schieben“, blaffe ich. „Hier einen auf Eso machen, aber komplett auf Menschenleben scheißen. Verreck doch einfach, du Scheiße. Ich tanz auf deinem Grab.“
Hm. Da hab ich mich jetzt ein bisschen sehr hineingesteigert. Egal, trifft nicht die Falsche. Überraschend schiebt sie nun ihr Fahrrad auf mich zu. Hat die eigentlich keine Angst, dass ich eventuell völlig ausraste? Sie guckt komisch. Hab ich denn keine Angst, dass sie völlig ausrastet? Und dann ist sie bei mir und küsst mich auf einmal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen