Aktion mit Tragweite

Versprüht

Ein Café im Prenzlauer Berg. Die beiden Filmemacher auf dem roten Sofa suchen einen Sprüher, der für ihren Film einen Schriftzug an die Wand malt. Sie erläutern mir ihre Filmidee, ich trinke meine Cola und schlage vor, den von ihnen geforderten Erkennungsslogan einer fiktiven Jugendgang nicht an einer Abrisswand, sondern auf einem Bahnhof der U 2 zu hinterlassen. Man einigt sich darauf, dass ich Mittwochnacht allein sprühen gehen werde und das Kamerateam am Donnerstagmorgen erscheint, um die Folgen meines Handelns zu filmen.

Mittwochabend. Der Bahnhof ist eigentlich noch etwas zu voll für mein Vorhaben, aber ich bin müde, will nach Hause und entschließe mich, loszulegen. Vom Bahnsteig springe ich auf die Gleise und schreibe mithilfe einer 600-ml-Montana-Sprühdose das angebliche Motto der fiktiven Jugendgang aus dem Film zwei Meter hoch und 18 Meter breit auf die Kachelwand des U-Bahnhofs. Ein leises Meckern vom Bahnsteig ist zwar zu vernehmen, aktiver Widerstand bleibt jedoch aus.

Donnerstagmorgen. Auf dem Weg zur Galeria Kaufhof ist mir danach, am besagten Bahnhof auszusteigen, um mein Werk zu begutachten. Am Ende des Bahnsteigs steht eine sprachlose Filmcrew. Nur der Kameramann strahlt übers ganze Gesicht. Meine Begrüßung wird sporadisch erwidert. Der Regisseur presst stockend den Einwand hervor, dass man „nicht mit einer solchen Tragweite der Aktion“ gerechnet hätte. Man sei eher von einer kleinen Kritzelei am Ticketautomaten ausgegangen. Ich beschließe, das Geld für die Sprühdosen nicht einzufordern, und lasse auf dem Bahnsteig ein peinlich berührtes Filmteam zurück. Shit happens.

JURI STERNBURG