Der wachsame Blick

Ein Bild sagt bekanntermaßen manchmal mehr als tausend Worte, und Bilder können auch ein Türöffner sein. Nur sollte dabei der kritische Blick nicht vergessen werden. Deswegen ist ein Leitsatz der Kontext-Fotografen: Misstraue der Oberfläche

von Martin Storz

Wir leben in einer visuellen Welt. Unzählige bunte Bilder buhlen um unser Hinschauen, versuchen, wie Animateure auf der Reeperbahn, unsere Aufmerksamkeit zu erregen, uns auf eine Seite, in einen Text zu ziehen. Auch wir bei der Kontext:Wochenzeitung wollen nicht auf Fotografie als Türöffner und visuelle Ergänzung zu unseren Artikeln verzichten.

Bilder sollen nicht nur Appetit auf den dazugehörigen Text machen, sie sollen auch Glaubwürdigkeit und Authentizität von Inhalten untermauern. Idealerweise gehen Bild und Text Hand in Hand, werden Termine gemeinsam von Fotografen und Redakteuren wahrgenommen, wie in unserer Serie „Gipfelgespräche“ und auch bei den Kontext-Reportagen aus dem Land.

Wir bemühen uns um aktuelle Fotos. Immer lässt sich das nicht einrichten, es belastet auch ganz erheblich das sehr knappe Redaktionsbudget. Deshalb greifen wir öfter in die Archive, müssen Texte mehr oder weniger passend „nachillustrieren“ – ideal ist das nicht.

Trotz des Wissens um die Manipulierbarkeit von Bildinhalten, trotz der Allgegenwart der synthetischen Werbebilder und obwohl Fotografie häufig nur noch die Vorlage für computergenerierte Fantasiewelten liefert, werden Fotos noch immer in hohem Maße als Dokumente der Wahrheit empfunden: „Es ist so gewesen.“

Ist es wirklich so gewesen?

So, wie sich die RedakteurInnen der Kontext:Wochenzeitung nicht hinter einer vorgeblichen Objektivität verstecken, die Leser nicht über den eigenen Standpunkt im Unklaren lassen, so können und wollen wir Fotografen unseren kritischen Blick, unseren mitfühlenden Blick oder unseren ganz persönlichen Blick auf die „Wirklichkeit“ nicht verbergen.

W. Eugene Smith, einer der großen Fotojournalisten, formulierte seinen Anspruch an Reportagefotografie so: „A true picture, unposed and real“ – „ein wahres (Ab)Bild, ungestellt und echt“. Und doch überschritt auch er die Grenzen der faktischen Erscheinung, weil er mit vielen anderen davon überzeugt war, dass Fotojournalismus nicht nur dokumentieren, sondern auch einen Zweck erfüllen soll, einer menschlicheren Welt verpflichtet sein muss. Und nicht zuletzt gestattet ein unverstellter Blick auf unsere heutige Gesellschaft Einblicke in das öffentliche und private Leben, die so nicht jedem möglich wären. Sehen können Sie das in unseren Fotogalerien, die Sie online unter dem Stichwort „Schaubühne“ finden.

Misstraue der Oberfläche! Das ist nicht nur ein Leitsatz für uns Fotografen, für dieses Motto steht die gesamte Kontext-Redaktion. Wenn Ihnen der Blick hinter die Kulissen, unter die Oberfläche, auf eine andere „Wirklichkeit“ etwas wert ist, dann bitten wir Sie herzlich um Unterstützung unserer redaktionellen Arbeit. Ihr Abo, Ihre Spende ermöglicht, dass die Kontext:Wochenzeitung weiterleben kann. Kontext:ist’s mir wert!