Schnapsmüsli und Acidwurst

RAVE Ausgehen, tanzen, saufen, Pillen werfen, vögeln. In den Texten von Anton Waldt, Airen und Torsun wird der Exzess zur ultimativen Daseinsform

Ungeheure Energien werden der Spekulation auf die Zukunft entzogen und dem Jetzt zugeführt

Toms Schwanz schmerzt wie die Sau. Finally abgenutzt, offensichtlich.“ Die Nonchalance, mit der Raver sich sexuell betätigen, tanzen und Drogen nehmen, hat keiner so unverblümt formuliert wie Anton Waldt. Seine Kolumnen sind zum Vergnügen ebenjener Raver zwischen 1998 und 2006 in Szeneorganen und vor einem Jahr als Buch erschienen. Sie wirkten stilbildend für eine Literatur des Exzesses, die uns von der Gegenwart erzählt.

Anton Waldts Held heißt Tom und ist dauerstramm von Schnapsmüsli und Acidwurst. Tom will immer noch mehr Sex und Drogen. Natürlich, Raver sind so. Natürlich sind Raver so nicht. Waldt übersteigert, was in den Clubs passiert, geschult an den seriellen Exzessen de Sades, den psychedelischen Erlebnisberichten Hunter S. Thompsons und ironischen deutschen Pornofilm-Voiceovers der Siebziger.

Airen, zu Unrecht erst durch die Plagiatsaffäre Hegemann bekannt geworden, hat Waldts Stil kongenial in die Authentizität versprechende Form des Blogs, später in die eines Romans transformiert. „Strobo“ von 2009 handelt von einem sensiblen jungen Mann auf einer Reise zu sich selbst. Er arbeitet in einer Unternehmensberatung: „Fickt euch, fickt mich, nehmt meinen Körper, setzt ihn elf Stunden in ein beschissenes Büro und beutet ihn aus.“ Dann katapultiert er sich mit Haschisch, Wodka-Red-Bull, MDMA, Amphetamin, Kokain und Ketamin in den Orbit.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Protagonisten dieser Literatur Körper und Geist immer neuen olympischen Stresstests unterwerfen, spiegelt, feiert und unterminiert die Totalität ihrer Entfremdung. Der Topos, nach drei Tage Wachsein am Montagmorgen vollkommen zerstört im Büro aufzuschlagen, ist ja – im wahren Leben wie in der Literatur – nicht notwendig ein Beweis für den Romantizismus oder Eskapismus von Figuren und Autoren. Es ist die effektivste Art, sich gegen die Appropriation der eigenen Produktivkräfte durch sogenannte Arbeitgeber zu wehren. Wer körperlich am Rande des Kollaps, psychisch am Rande der Depression angekommen ist, dessen Leistungsfähigkeit ist bestenfalls gegen Ende der Arbeitswoche wieder halbwegs da. Trifft sich gut, auch das Wochenende verlangt Höchstleistungen.

Zuletzt hat Torsun, Sänger der Elektropunk-Combo Egotronic, einen autobiografischen Roman vorgelegt, in der Raven und Drogennehmen, das Verbimmeltsein und der nie aufhörende Beat eine zentrale Rolle spielen. Bei Torsun steht der Exzess ausdrücklich für ein zumindest temporäres Aussetzen der unhintergehbaren Konkurrenz- und Gewaltverhältnisse. Einerseits ist Torsuns Sex-und-Drogen-Diskurs in seiner Freundlichkeit kirchentagshafter als die Texte von Waldt und Airen: Wären alle so drauf wie Raver beim Raven, wäre der Planet ein besserer Ort, meint Torsun. Andererseits vertritt er am radikalsten die Idee, dass Arbeit tunlichst zu vermeiden sei, außer es geht um eine neue Platte. Bei Egotronic heißt es: „Hast du ’ne feste Arbeit, oder was ist dein Problem? Dann empfehle ich dir, einmal zum Arzt zu gehn. ’nen gelben Schein bekommt man schnell, dann kannst du leben fett. Symptome findest du im Internet!“

Wenn der Exzess der neoliberalen Allzeit-bereit-Ideologie entfleucht und sich als kollektiver Rausch neu erfindet, werden der Spekulation auf die Zukunft ungeheure Energien entzogen und dem Hier und Jetzt zugeführt. Askese und Investition sind dann so passé wie Heteronormativität: Alle machen es mit allen. Mit Absicht oder aus Versehen sind alle bisexuell.

Zugleich ist dieses dauervögelnde und drogennehmende, bubenhafte und doch queere Subjekt das ideale Subjekt der herrschenden Ordnung, indem es den Exzess als ultimatives Konsumerlebnis integriert und brav dafür sorgt, dass es trotzdem funktioniert. Airen: „Kaufe mir in meinem Überschwang meine erste Zigarette seit zwei Wochen, die fast so übel schmeckt wie meine erste und die ich nach drei Zügen wegschmeiße.“ Exzessiv sein und gesund leben gehören zusammen.

Doch vor allem geht es um Hingabe, wenn Nasen bluten, Muskeln schmerzen, Organe wund sind. Körper und Hirn sind Orte, an denen um das richtige Leben gerungen wird. „Ich bin gefickt bis in den letzten Winkel meines kaputtgefeierten Körpers, aber gegen Mitternacht habe ich ausgeschlafen und fühle mich bereit“, schreibt Airen. Was sagt Tom? „‚Ficken‘ ist das letzte Wort, das er sagt. War aber wieder geil gewesen!“ ULRICH GUTMAIR

■ Anton Waldt: „Auf die Zwölf“. Verbrecher, Berlin 2010, 124 Seiten, 13 Euro

■ Airen: „Strobo“. Sukultur, Berlin 2009, 170 Seiten, 17 Euro

■ Torsun und Kulla: „Raven wegen Deutschland“. Ventil, Mainz 2011, 278 Seiten, 12,90 Euro