Grobschlächtig statt filigran

KAMPF Neue Körperlichkeit: Trainer Pep Guardiola hat seinen ersatzgeschwächten Bayern ein neues Konzept verordnet – in Leverkusen grätschten sie sich ins Pokal-Halbfinale

Vielleicht geht die Zeit der totalen Dominanz der Bayern gerade zu Ende

VON DANIEL THEWELEIT

Roger Schmidt hatte kein Interesse daran, die von vielen Experten zum Schlüsselmoment erklärte Szene mit provokanten Worten weiter zu erhöhen. In der 90. Minute hatte der Münchner Mittelfeldspieler Thiago sein Bein im Bemühen, an den Ball zu kommen, weit nach oben gerissen und Leverkusens Stürmer Kießling heftig an der Brust getroffen. Schnell kursierte die Meinung, dass der Spanier dafür die Rote Karte hätte sehen müssen, was das Spiel grundlegend verändert hätte. Schmidt aber sagte: „Ich glaube, dass Thiago ein sehr feiner Fußballer und ein fairer Spieler ist. Ich unterstelle ihm da keine Absicht. Das war unglücklich, ob das jetzt Gelb ist oder Rot ist, weiß ich nicht.“

Das waren Worte der Deeskalation am Ende einer intensiven Schlacht um den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals, Thiagos Tritt jedoch stand weiterhin im Zentrum der Debatten. Denn zum einen versenkte der Mittelfeldspieler beim Elfmeterschießen nach 120 torlosen Minuten den finalen Ball, nachdem Josip Drmic, der für den nach dem Tritt verletzten Kießling eingewechselt worden war, als einziger Leverkusener verschossen hatte. Und zum anderen war die grobe Aktion des sonst so filigranen Fußballers Ausdruck einer Verwandlung, die Trainer Pep Guardiola dem FC Bayern zuletzt verordnet hat.

Die feinen Züge der hohen Fußballkunst, mit der Gegner planvoll und mit großer Leichtigkeit zerlegt werden, sind einer wilden und etwas ungehobelten Entschlossenheit gewichen. „Wir haben viele Probleme, weil wir keine Spieler mehr für Eins-gegen-eins-Situationen haben“, sagte Guardiola. „Ohne Franck Ribéry und Arjen Robben sind wir eine andere Mannschaft.“ Die Maßnahmen, die der Trainer aufgrund dieser prekären Personallage ergreift – auch David Alaba und Bastian Schweinsteiger fehlen weiterhin verletzt –, sind erstaunlich konsequent.

Schon am vorigen Wochenende in Dortmund spielten die Bayern ungewohnt defensiv, und an diesem Abend stand die Mannschaft in vielen Phasen erneut tief in der eigenen Hälfte, um keine Leverkusener Konter zuzulassen. Diesmal kam aber noch eine imposante Körperlichkeit hinzu, die ebenfalls nicht zum fußballerischen Ideal des spanischen Meistertrainers gehört. Wenn Pep Guardiolas Mannschaften funktionieren wie gewünscht, dann haben sie meistens den Ball, sie entziehen sich durch eine geschickte Raumaufteilung und kluge Laufwege wenn möglich dem Zweikampfgetümmel, wo es um Muskelkraft und Willensstärke geht. Das war in Leverkusen anders.

Es wurde gezerrt, gerungen und gegrätscht, bis in die Grauzone des Regelwerks hinein. Selten gab es ein Fußballspiel, das so häufig unterbrochen werden musste, weil schon wieder zwei Spieler mit den Köpfen zusammengeprallt waren oder weil irgendwelche Ellenbogen in gegnerischen Gesichtern landeten. „Wir haben uns voll reingehauen“, sagte Thomas Müller, der seine Freude an diesem Spiel hatte.

Für die Leverkusener war dieser Münchner Strategiewechsel gewissermaßen ein Erfolg. Sie hatten die Bayern dazu gezwungen, sich auf ihre Art des Fußballs einzulassen, zu dem der robuste Mittelfeldkampf um den zweiten Ball genauso selbstverständlich gehört wie der Diagonalpass oder die Flanke. Die Bayern spielen eigentlich anders, sie halten ihren Lieblingsfußball im Moment aber für nicht stabil genug. Es gebe „gute Gründe dafür, dass fußballerisch nicht alles funktioniert“, sagte Philipp Lahm daher in Anspielung auf die Verletzten, und verwendete eine Phrase, die eigentlich zur Krisenrhetorik des Fußballs gehört: „Wir müssen jetzt zusammenrücken.“

Die Abhängigkeit von Robbery

Denn zu Beginn der entscheidenden Phase der Saison wirken die Bayern so verwundbar wie lange nicht. Gegen Mönchengladbach haben sie verloren, in Dortmund hätten sie sich am vorigen Wochenende angesichts von zwei sehr strittigen Elfmetersituationen auch nicht über den Verlust von Punkten beklagen können. Und nun brauchten sie ein Elfmeterschießen und Manuel Neuer, um mit Glück ins Halbfinale einzuziehen.

Vielleicht geht die Zeit der totalen Dominanz also gerade zu Ende, die Abhängigkeit von den nicht mehr ganz jungen Tempospielern Robben (31) und Ribéry (32) ist jedenfalls bedenklich. Und die anderen Klubs kommen näher. „Wir wissen, dass da ein echter Konkurrent heranwächst“, sagte Sportdirektor Matthias Sammer zur guten Entwicklung der Leverkusener. Wolfsburg und Mönchengladbach reifen ebenfalls, und wenn Halbfinalgegner Borussia Dortmund sich erholt, gibt es gleich mehrere Teams mit dem Potenzial, die Bayern öfter mal zu besiegen.