„Frauen aller Länder, vereinigt euch“

■ Weltfrauenkongreß in Moskau vom 23.–27. Juni / Unter dem Motto „Vorwärts zum Jahr 2000 - ohne Kernwaffen, für Frieden, Gleichberechtigung, Entwicklung“ / Raissa Gorbatschowa nahm Liste von politischen Gefangenen entgegen

Aus Moskau von Alice Meyer

„In früheren Zeiten gingen die Männer aus dem Haus, um zu kämpfen. Heute verlassen Frauen das Haus, um den Frieden zu verteidigen. Wir verteidigen hier den Frieden“, sagte die Schwedin Agneta Norman über den Kongreß, der vom 23. bis 27. Juni stattfand. Vorbereitung und Organisation lagen in den Händen der internationalen demokratischen Frauenföderation, deren deutscher Sitz sich in Ost–Berlin befindet. Die geographische Nähe mag der Grund dafür sein, daß der deutsche Frauenrat der BRD als Dachorganisation für Frauenvereinigungen der Kirchen, der Parteien, der Gewerkschaften und anderer Verbände an der Vorbereitung nicht beteiligt war. Die bundesdeutsche Delegation, mit rund 100 Teilnehmerinnen eine der stärksten des Kongresses, repräsentierte in ihren Reihen jedoch ein breites Spektrum der Frauenbewegung, von den Autonomen bis zu den Frauen der demokratischen Frauen–Initiative. Unter den rund 2.800 Teilnehmerinnen aus 154 Ländern waren die Feministinnen in der Minderheit. Die zahlenmäßig größte nationale Gruppe kam aus den USA. Ihre Beteiligung an der Debatte im Arbeitskreis „Feminismus“ war gering. Insgesamt arbeiteten acht Kommissionen in drei Zentren. Die Möglichkeit, auch spontan kleinere Arbeitsgruppen einzurichten, wurde genutzt, doch scheiterte der Versuch von Skandinavierinnen, einen Workshop gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie anzubieten. Dagegen zeigte die als offizieller Programmpunkt durchgeführte Diskussion über Atomenergie, daß die Mehrheit der Anwesenden sich gegen deren „friedliche Nutzung“ aussprach. Lediglich zwei sowjetische Teilnehmerinnen verteidigten den Standpunkt ihrer Partei und Regierung. Regie rungsfromm waren auch zwei afghanische Frauen mit einem Jubelbericht über ihr kriegszerrüttetes Land. Eine Diskussion darüber, wie auch über den Krieg zwischen Iran und Irak, wurde abgewürgt, immer mit dem Hinweis, daß Frauen aus zahlreichen Ländern noch auf der Rednerliste stünden. Bei 100 bis 300 Teilnehmerinnen an den Foren und fast gleicher Zahl von Wortmeldungen war es Leicht, den Dialog durch das nächste Statement zu ersticken. In den Hotelhallen war die sonst kalt–abweisende Marmorglätte durch Bilder, Transparente, Stände, Kunstgewerbliches verdeckt. Hier wurde das Gespräch fortgesetzt, zusammen getanzt und gesungen. Die sowjetischen Frauen beteiligten sich daran kaum. Überhaupt war es nach Meinung bundesdeutscher Teilnehmerinnen schwierig, einer der 55 bis 70 sowjetischen Delegierten habhaft zu werden. Die Mahlzeiten boten keine Gelegenheit internationaler Begegnung, weil sich die Frauen jeweils als nationale Delegationen an ihre Tische begeben mußten. Am letzten Abend des Kongresses kam jedoch ein Frage–und–Antwort–Gespräch zwischen bundesdeutschen und sowjetischen Teilnehmerinnen zustande. Wie selbstbe wußt und konsequent die sowjetischen Frauen die geringe Präsenz ihrer Geschlechtsgenossinnen in leitenden Funktionen erklärten, war schon imponierend. „Demographische und soziale Gründe sind verantwortlich.“ Frauen gebären und beziehen sich mehr auf die Familie. Die fehlenden Berufsjahre bedeuten den Verlust einer steilen Karriere. Auf lebhaftes Interesse bei den Frauen aus der Sowjetunion stieß der von Melitta Walter, der Ex– Präsidentin von pro familia, eingerichtete Workshop „Frauen und AIDS“. Sie fragten sehr emotional, sie wollten genauestens über die Ansteckungsmöglichkeiten informiert werden. Ihre Offenheit, auch über sich und ihre eigene Sexualität zu sprechen, war beeindruckend, berichtete Melitta Walter. Haidi Streletz kritisierte an ihrem Arbeitskreis „Neue Technologien“ die Euphorie der Frauen aus dem sogenannten sozialistischen Lager, die die Gefahren unterschätzten. Sie fragte nach der Rolle der „Reproduktionsmedizin“ (Retortenbabies usw.) in der UdSSR. Die Antwort kam auf dem sowjetisch–deutschen Diskussionsabend. Die Sowjets lehnen aus ethischen Gründen diese Techniken ab. Selbst Ultraschall– Untersuchungen von schwange ren Frauen, die eine Geschlechtsbestimmung des Embryos ermöglichen, sind selten - schon um zu verhindern, daß die Geburtenrate von Mädchen in einigen Sowjet– Regionen radikal absinken würde. Schwangerschaftsabbrüche sind in der Sowjetunion legal und kostenlos. Ute Otten schilderte die völlig anderen Probleme der Frauen aus der Dritten Welt wie Krieg, Mord, Folter, Verschleppung. Im Kampf um Überlebensstrategien beherrschten die Frauen aus Afrika, Asien und Lateinamerika den ersten Tag des Kongresses. „Ihr Drang zur Selbstdarstellung war groß, und sie schilderten zum Teil knallhart ihre Situation. Es wäre makaber gewesen, mich selbst darzustellen“, sagte Melitta Walter. Eine Finnin kritisierte in einem Interview gegenüber sowjetischen Journalisten, daß jede Diskussionsteilnehmerin bemüht war, nur über das jeweils eigene Land zu berichten und nicht über die Lage der Frauen überhaupt. „Ich möchte nicht streiten, aber der Hauptmangel der heutigen Diskussion war die thematische und weltanschauliche Zersplittertheit der Teilnehmerinnen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozial–ökonomischen Block.“ Das wurde auch bei der Abschlußveranstaltung im Krongreßpalast deutlich. Dem Hauptredner Robert Mugabe aus Simbabwe jubelte die Mehrzahl der Frauen zu, während der Politiker sich allen Ernstes in den Schoß seiner Mutter zurücksehnte und die Schönheit der anwesenden Frauen pries. Realistische Vorstellungen von Mutterglück hatte da schon Petra Kelly, die Raissa Gorbatschowa eine Liste inhaftierter sowjetischer Frauen überreichte. Auf die Bemerkung von Frau Gorbatschowa, es gebe keine politischen Gefangenen in ihrem Land, nur inhaftierte Kriminelle, verwies Petra Kelly auf die gesetzwidrigen Aktionen der Greenham–Common–Frauen, die hier als Heroinnen gefeiert wurden.