„Wir sind nur eine nachgeordnete Behörde“

■ MitarbeiterInnen der mittelfränkischen AIDS–Hilfe waren auf Einladung der Grünen drei Tage in Bonn, um sich bei den Behörden zu informieren - Bayerischer Maßnahmen–Katalog in den Ministerien offenbar kein Thema

Aus Bonn Wolfgang Gast

„Die eigentlichen Philosophen sind Befehlende und Gesetzgeber. Sie sagen, so soll es sein! Sie bestimmen erst das Wohin und Wozu des Menschen.“ (Friedrich Nietzsche) Der einsame Philosoph hat hier gewohnt, wie es die Liste der berühmten Gäste an der Mauer des „Schaumburger Hofes“ im Bonner Stadtteil Bad Godesberg mitteilt. Die Reisegruppe, die drei Tage in diesem unseren Regierungsviertel unterwegs ist, wohnt im selben Hotel und kommt aus Bayern. Die über 40 MitarbeiterInnen der „AIDSHilfe Nürnberg– Fürth–Erlangen“ und der „Grünen“ kamen auf Einladung der mittelfränkischen Bundestagsabgeordneten Bärbel Rust (die Grünen) und auf Kosten des Bundespresseamtes nach Bonn. Ihre Hoffnung ist, in den verschiedenen Ministerien Tips und Tricks im Umgang mit der restriktiven Politik der bayerischen Staatsregierung mit nach Hause nehmen zu können. Erster Schauplatz, Bundeshaus. Eine Diskussion mit den Sprechern aller Parteien des Ausschusses für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit, die erste Veranstaltung im Bonner Reise– Programm, fällt ins Wasser. Die Büros der Referenten hatten es versäumt, den Organisatoren aus zeitlichen Gründen (Beginn der Sitzungswoche) abzusagen. Lediglich die Abgeordnete der Grünen und Mitarbeiterin der neu eingerichteten „Enquete–Kommission AIDS“, Dorothee Wilms– Kegel, nimmt sich Zeit. Als sie jedoch Kritisches zum Thema eines Anti–Diskriminierungsgesetzes für AIDS–Infizierte anmerkt (“Ein Gesetzesbündel allein führt zu keiner Bewußtseinsänderung“), entladen sich die ent täuschten Erwartungen. Nürnbergs grüner Stadtrat Klaus–Peter Murawski: „Bei ihrem Vortrag zweifle ich, ob sie auf der Höhe der Zeit sind.“ Entnervt und wütend verläßt die Referentin nach einer halben Stunde den Vortragssaal. Vor dem Eklat hatte sie den Besuchern aber dennoch einiges Bedenkenswerte mit auf den Weg gegeben. Beispielsweise, daß Bayerns Maßnahmenschöpfer, Dr. Peter Gauweiler, im Begriff sein soll, die liberalen Mitglieder der CDU–Fraktion auf seine Seite zu ziehen. Die stramme Ablehnung der Münchner Maßnahmen ist ihrer Meinung nach mittlerweile einer Diskussion gewichen und der HIV–Test für Beamtenanwärter in einigen Bundesländern bereits in der aktuellen Beratung. Problematisiert hatte sie unbequemerweise auch die Aufklärungskampagnen. Für sie sei es „eine kühne Anmaßung für Politiker“, wenn deren Aufrufe darin münden, den Menschen ihr Verhalten vorschreiben zu wollen. Ein 28jähriger Schwuler habe ihr beispielsweise gesagt, „Kondome im Prinzip ja“, aber er könne und wolle keine Garantie dafür abgeben, daß er sich in den nächsten 40 Jahren in jedem einzelnen Fall daran halten werde. Wer sich in den nächsten Jahren trotz der Aufklärungsbemühungen anstecken sollte, wird sich wohl vorwerfen lassen müssen, sich wider besseren Wissens nicht geschützt zu haben. Dagegen stehe aber das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, denen durchaus auch ein kalkuliertes Risiko zugestanden werden müsse. Schauplatz zwei, die Ministerien. Ulrike Münz, Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Justizministerium, sieht sich außerstande, zum Thema AIDS Stellung zu beziehen. „Bei uns im Haus wird das nur partiell bearbeitet.“ Fragen zur Gesetzmäßigkeit des bayerischen Maßnahmen–Kataloges und der Verfolgung AIDSInfizierter mit dem Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung werden trotzdem gestellt, aber nicht beantwortet. Ähnliches in der Kölner Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Hier heißt es, „wir sind nur eine nachgeordnete Behörde“, für die Politik sei das Ressort von Frau Süssmuth zuständig. Und der Referent des Bundesministeriums für Familie, Jugend, Frauen und Gesundheit verweist auf die Länderkompetenz im Gesundheitsbereich. Auf detaillierte Nachfrage sehen sich die Vertreter der Ministerien überfordert. Politische Aussagen scheinen bei Beamten unbeliebt. Dr. Fock, Mitarbeiter im Seuchenreferat des Gesundheitsministeriums beschreibt die Arbeit der eigenen Dienstelle daher reichlich nebulös. Weg vom Begriff der „Risiko–Gruppe“ und hin zum „Risikoverhalten“, das kennzeichne die Linie seiner Behörde. Zum Thema Maßnahmen– Katalog zitiert er wiederholt die Koalitionsvereinbarungen nach der letzten Bundestagswahl. Diese erschöpfen sich allerdings in Absichtserklärungen, eine bundeseinheitliche Regelung der Maßnahmen bei AIDS finden zu wollen und das Bundesseuchengesetz zu überprüfen. Unter dem Strich erweist sich das Verhalten der Behörden als Hilflosigkeit, mit engagierten Besuchergruppen umzugehen. Ihr Auftreten bricht die übliche Routine ministerieller Selbstdarstellung und der Plauderstunden mit den Abgeordneten: Kundenbetreuung, eine beschauliche Dampferfahrt in der Dämmerung auf dem Rhein inbegriffen.