Der neue Traum des „Regenbogenappells“

■ Am Wochenende trafen sich nahe Lyon linksradikale und alternative Gruppen, um über Generationen und Grabenkämpfe hinweg Perspektiven einer neuen linken Politik zu entwickeln / Ihr Mann: Pierre Juquin aus der KPF ausgeschlossen

Aus Lyon Georg Blume

Auf einem Provinzpodium in der Nähe Lyons sitzen sie gemeinsam und schüren die Hoffnung. Hoffnung auf die neue, alte radikale Linke, wie es sie - vereinigt - in Frankreich nie gab. Da ist Juquin, der Kommunist: hier, im Traum, steht er auch als Parteidissident für die radikale Tradition der französischen Arbeiterbewegung, deren Sprachrohr die KPF nach dem Krieg immer war. Da ist Le vergangenen Jahres zu leiten wußte. Und nun beraten sie eine neue alternative Politik für Frankreich jenseits der Grenzen des Alters und der politischen Organisationen. Plötzlich sind die Grabenkämpfe der Geschichte, zwischen Generationen und Parteien, die der Linken so unsäglich schadeten, vergessen. Ob dieser Traum eines Miteinander von kommunistischer Widerstandskultur, 68er–Revolte und Studentenprotest der 80er Jahre am Samstag abend in Villeurbanne bei Lyon der Wirklichkeit nahe kam? Sicher nicht. Aber sicher auch, daß viele den Traum gerne träumten. Eingeladen hatten die Gründer des sogenannten „Regenbogenappells“, einer Vereinigung, die seit einigen Monaten recht erfolgreich versucht, die überall im Land versprengten linksradikalen und alternativen Gruppen in eine strukturierte Diskussion zu führen. Schließlich war der Veranstaltungssaal mit etwa 500 Teilnehmern rappelvoll, als am Abend Pierre Juquin, heute Präsidentschaftskandidat, Le Scornet, Sylvia und einige andere aufs Podium stiegen. Auch Antoine Waechter war dabei, der Präsidentschaftskandidat der französischen Grünen (“Les Verts“), doch sei von ihm hier nicht weiter die Rede. Sein Vortrag handelte im wesentlichen von der „Zurückeroberung des Lebens“ und „bäuerlicher Identität“ und fügte sich schlecht in den Rahmen. Nein. Der Mann, der heute in der Linken für Aufregung sorgen kann, heißt Pierre Juquin. Immer im gleichen Aufzug, gebügelte Hose, Pulli und goldgerahmte Lesebrille erscheint er als der biedere französische Intellektuelle. Seit Montag ist er Präsidentschaftskandidat, seit Mittwoch hat ihn die Partei, der er 34 Jahre angehörte, aus den eigenen Reihen verdammt. Juquin bleibt trotzdem, so sagt er, Kommunist. Und nicht irgendeiner. „Die etablierte Linke ist leer“, sagte er in Lyon. Er muß es wissen. Neben KPF–Generalsekretär Marchais war und ist er Frankreichs bekanntester Kommunist. Zunächst Aushängeschild der eurokommunistischen Erneuerung seiner alten Partei in den siebziger Jahren, mußte er dann 1976 deren dogmatische Rückkehr vor dem Parteitag verteidigen. Erst 1984, nach dem Regierungsaustritt der KPF, scherte Juquin, inzwischen Politbüromitglied und Parteisprecher, von der Parteilinie aus. Mit seinem Buch „autocritiques“ lieferte er 1985 sein Bekenntnis zu Selbstverwaltung und direkter Demokratie. In Lyon ist es der Höhepunkt des Abends, als Juquin vor die versammelten Alternativen tritt und sagt: „Der Kommunismus hat in Frankreich große Bewegungen hervorgebracht. Daß ich heute hier bin aber, ist ein gewisser Erfolg für euch.“ Die Bedeutung eines solchen Eingeständnisses, das im Gegensatz zu bisherigen Parteidissens mit dem Angebot einer gemeinsamen politischen Perspektive gekoppelt ist, kann man hier in Frankreich gar nicht hoch genug einschätzen. Jean–Claude Le Scornet, dessen PSU 1968 die Partei der Stunde war, erklärt: „Unsere gesamte Generation hat ihre Identität in Opposition zur KPF herausgebildet. Dann aber war es wieder die KPF, die den radikalen Protest, der sich 68 und danach über unsere Generation hinaus kundtat, an sich band und uns, zum Beispiel die PSU marginalisierte.“ Heute hat sich die PSU, die wohl noch am besten funktionierende Kleinstpartei der Linksalternativen, in einer Abstimmung aller Mitglieder zu 71 Prozent für die Kandidatur Juquins ausgesprochen. Der PSU folgte die trotzkistische LCR von Mai– Revolutionär Alain Krivine. „Mit Juquin“, sagt Le Scornet, „haben wir das erste Mal die Chance, die KPF zu zerstören.“ Die Umfragen gaben Juquin vor der jetzigen Kandidaturerklärung zwei Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang. Doch für den offiziellen KP–Kandidaten Lajoinie verbuchten sie mit vier Prozent kaum mehr. Bei Präsidentschaftswahlen, so zeigt die französische Geschichte, können schon kleine Erfolge die politischen Kräfteverhältnisse nachhaltig bestimmen. Für Juquin offenbart sich an diesem Punkt der schwerwiegendste Widerspruch seiner Kampagne. So ungewiß es bisher ist, daß seine Aktion ein neues Linksbündnis, das auch über die Präsidentschaftswahlen hinaus währt, schaffen kann, so gewiß ist es, daß er die KPF weiter in den Abgrund zieht. An der KPF aber hängt nicht nur das Schicksal des Sektenführers Marchais, sondern ebenso die Position der kommunistischen CGT–Gewerkschaft, die in den Betrieben immer noch wichtige Aufgaben erfüllt. In Lyon rechtfertigte Juquin seine Kandidatur. In zwei Punkten, bezüglich seiner Forderungen nach der Einführung des Ausländerwahlrechts und der Abschaffung der „force de frappe“ hätte seine Kampagne, so Juquin, die Diskussion in Frankreich bereits weitergebracht. Die Forderung nach einem Ausländerwahlrecht war es auch, die Silvia und mit ihr eine ganze Reihe ehemaliger Mitglieder der fast schon legendären „Nationalen Koordination“ der französischen Studentenbewegung vom Herbst 86 auf die Seite Juquins brachte. Das ist die wohl spektakulärste, vor allem aber populärste Hilfe, die Juquin zukommen konnte. „Die heute an der Regierung sind, haben eine derartige Anti–Jugend–Politik gemacht, daß sich die Jugend diesmal für die Wahlen interessieren wird. „Juquin“, so Silvia, „vertritt unsere Forderungen bisher am besten.“ Nach solchen Worten applaudierte man in Lyon natürlich besonders heftig. Und wieder erschien der alte, neue Traum von der vereinten Linken, die es nie gab. Dany Cohn–Bendit wäre begeistert gewesen. Und auch wir können mal wieder, in den kommenden Tagen, in denen Mitterrand versuchen wird, uns zu verführen, an ein anderes Frankreich denken.