Stammheim–Demo zerschlagen

■ Zehn Jahre Stammheim: In Stuttgart demonstrierten rund 700 Personen gegen Isolationsfolter und für die Zusammenlegung von politischen Gefangenen / Polizei meldet 30 Festnahmen nach Zerschlagung der Demo

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Rund 700 Demoteilnehmer hatten sich am Samstag auf dem Berliner Platz am Rande der Stuttgarter Innenstadt eingefunden, ein paar hundert weitere sollen durch Polizeikontrollen daran gehindert worden sein. Der größte Teil der Demonstranten hatte sich Motorradmasken aufgesetzt oder versucht, durch Schals und Tücher eine Identifizierung durch die zahlreichen Polizeifotografen und Videokameras zu erschweren. Transparente und Spruchbänder mit der Forderung nach Zusammenlegung der politischen Gefangenen aus RAF und Widerstand, nach Organisation des militanten Widerstands und der Linken, mit der Erinnerung: „Was am 18. Oktober 1977 geschah, war Mord“, waren ausgerollt. Parolen wie „Kämpfen als Menschen für den Sieg, kämpfen heißt leben; Krieg dem Krieg“, oder „Isolationsfolter ist Mord, Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand jetzt sofort“, aber auch „BRD und Bullenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt“ wurden lautstark skandiert. Die Demonstranten hatten sich in Reihen aufgestellt und untergehakt. Schon im Vorfeld der Demonstration hatten sich die verschiedenen Gruppen auf unbedingte Disziplin geeinigt. Unter keinen Umständen wollte man sich auf eventuelle Provokationen durch die Polizei einlassen und damit die Demonstration gefährden. Da forderte ein Sprecher der Polizei die Demonstranten auf, ihre „Vermummung, die eine Identifizierung verhindere“, abzulegen. In einer dichten Polizeikette waren die 700 Demonstran ten mittlerweile eingekesselt. Nach einer zweiten Aufforderung hatten die meisten ihre Schals und Tücher abgenommen und versucht, auf einem anderen Weg in Richtung Innenstadt zu kommen. Wieder versperrte ein großes Polizeiaufgebot den Weg, es kam zu ersten Rangeleien, ein Demonstrant wurde am Auge verletzt. Vermummte, so entschied der Polizeisprecher jetzt, seien von der Demonstration ausgeschlossen. Kaum einer hatte noch eine Motorradmaske auf dem Kopf, als kurze Zeit später die Demonstration wegen „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ von der Einsatzleitung der Polizei verboten wurde. Durch einen kleinen Kordon, vorbei an den Kameras der Polizei, konnten die Demonstranten den Ort verlassen. Als sich kurze Zeit später im Einkaufstrubel der Innenstadt erneut kleine Protestzüge formierten, kam es zu teilweise harten Polizeieinsätzen. Demonstranten protestierten lauthals, als eine Gruppe von acht Frauen von einer halben Hundertschaft Polizisten festgehalten wurde. An der Fassade eines Kaufhauses hing kurze Zeit ein Transparent gegen Isolationfolter. Am frühen Samstagnachmittag war die Demonstration zerschlagen, nur wenige standen noch diskutierend auf dem Stuttgarter Schloßplatz. Vergeblich wartete dann am Nachmittag mehrere Hundertschaften Polizei auf den zweiten Demonstrationszug zum Stammheimer Gefängnis. Einzelne Demonstranten sollen in der S–Bahn auf dem Weg dorthin abgefangen worden sein, die Mehrheit hatte sich zu Kritik und Selbstkritik in einem Stuttgarter Kulturzentrum eingefunden. Der Versuch einer weiteren Demonstration, heißt es, sei angesichts des Polizeiaufgebots sinnlos, dezentrale Aktionen sollen in anderen Städten stattfinden. 30 Personen, so die Polizei, seien festgenommen worden, Sachschaden oder Verletzte habe es nicht gegeben. Aus dem Polizeifunk ist zu erfahren, daß noch am späten Nachmittag Demonstranten in ihren Autos verfolgt und festgenommen wurden.