Börsenkrach: Schuldige Computer werden bestraft

■ „Programmhandel“ eingeschränkt / Börsen tendieren nach oben / Reagan will Defizit angehen

Von Ulli Kulke

Nach dem Katzenjammer über das Börsengeschehen vom Wochenbeginn hat man an der Quelle des Unheils, der New Yorker Wertpapierbörse Wall Street, einen Schuldigen gefunden und sogleich mit der nötigen Strafe belegt: Den Computer. Am Dienstag beschränkte Wall Street den sogenannten „Programmhandel“, der auch unter dem Titel „Aktientermin–Arbitrage“ läuft. Gemeint ist der Aktienhandel, der nicht mehr aufgrund individueller Entscheidungen der Spekulantenköpfe getätigt wird, sondern aufgrund einprogrammierter Computerbefehle in Gang kommt. Kursbewegungen nach oben oder unten leiten dabei automatische Kauf– oder Verkaufsentscheidungen ein. Durch den Computer–Automatismus erfahren die Börsensogwirkungen blitzartige Geschwindigkeiten, während das Abbremsen immer schwieriger wird. Der Berufshandel in New York ersparte sich die Proteste, meinte vielmehr, daß dahinter eine „politische Entscheidung“ stünde, die darauf abziele, die Unberechenbarkeit des Marktes zu reduzieren und das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen. Auch Ronald Reagan weiß, was die Fachpresse in diesen bewegten Zeiten für Bekenntnisse hören will: Er habe nunmehr Ausgabenkürzungen in Höhe von rund 23 Milliarden Dollar angeordnet. Der total überschuldete und damit zinstreibende Haushalt war von Beobachtern vielfach als Auslöser des Aktienkurseinbruchs angesehen worden. Anleger bringen ihre Gelder bei steigenden Zinsen lieber auf den Kapitalmarkt und verkaufen dafür ihre Aktien. Reagan erklärte sogar seine Bereitschaft, sich Vorschläge des Kongresses zu Steuererhöhungen „anzusehen“. Unterdessen machte sich gestern nach dem Krach am Montag und Dienstag unter eingefleischten Börsianern so etwas wie eine neue Aufbruchsstimmung breit. Viele sind offenbar entschlossen, die Gunst der niedrigen Kurse zu neuen „Einstiegen“, sprich Käufen, zu nutzen. Auch die Londoner Börse, die als einzige bedeutende am Dienstag noch steil nach unten wies, „kam“ gestern früh wieder. Der „Financial–Times–Index“, der am Montag und Dienstag um jeweils rund 250 Punkte gefallen war, stieg gestern früh eine Stunde nach Börseneröffnung wieder um 141,7 Punkte an. In Tokio werden gar schon neue Rekorde in der Aufwärtsbewegung erzielt. Nachdem der Nikkei–Index am Dienstag einen Sturz um 3.836 Punkte und einen buchungsmäßigen Verlust von mehr als 100 Milliarden DM erlitt, verzeichnete man am Mittwoch einen neuen absoluten Rekord im Tagesanstieg. Aus Hongkong, wo die Börse ursprünglich die ganze Woche über geschlossen bleiben sollte, verlautete, man überlege eine vorfristige Wiedereröffnung heute oder morgen. Die Anleger in der Kronkolonie dürften ob der neuen Euphorie wie auf Kohlen sitzen. Die Wall Street hatte bereits am Dienstag Erholungstendenzen signalisiert. Von den 500 Punkten, die der Dow–Jones–Index am Montag eingebüßt hatte (siehe Kasten) waren bereits über 100 wieder wettgemacht (wobei Dienstag mittag der Pegel schon wieder um 190 nach oben gewandert war, bevors wieder bergab ging). Ein Banker meinte dazu Dienstag abend, er sei erleichtert, daß der Gesamtgewinn am Dienstag nicht gar so hoch ausgefallen ist, weil ein erneuter explosionsartiger Boom nur wieder (dann noch schärfere) Gefahren eines abermaligen Einbruchs heraufbeschwörten. Bis Redaktionsschluß der Wirtschaftsseite war die Wall Street gestern noch nicht geöffnet. Nach all diesem Auf und Ab muß die Wirtschaftsredaktion dem Komitee zur Verleihung des Nobelpreises ihren Glückwunsch aussprechen. Mit ihrer Entscheidung für den US–Amerikanischen „Neoklassiker“ Robert Solow, dessen Lebenswerk die Erforschung der zum Gleichgewicht tendierenden Wachstums–Marktwirtschaft ist, hat sie Sinn für Tagesaktualität bewiesen.