Transnationalisierung der Gewerkschaften in der Klemme

■ DGB–Tagung: Industrie erreicht mit der Internationalisierung der Produktion neue Technologie–Dimensionen / Antworten der Gewerkschaften unterentwickelt

Von Kurt Hübner

Die bundesdeutsche Industrie ist im Aufbruch und Umbruch begriffen. Transnationalisierung heißt die Entwicklungsrichtung, und das geht mit tiefgreifenden Veränderungen der Produktionsorganisation einher. Schon seit den frühen siebziger Jahren haben die ausländischen Direktinvestitionen der Konzerne stark zugenommen; in den achtziger Jahren haben sie sich, vor allem dank des günstigen Dollarwechselkurses, noch einmal beschleunigt. An der Spitze dieser Bewegung stehen die Unternehmen in Wachstumsbereichen: die chemische Industrie, die Automobilproduzenten, die elektrotechnische Industrie und der Bankensektor. Der Bayer–Konzern etwa weist mittlerweile nahezu 300 Beschäftigungsgesellschaften im Ausland auf, die über spezielle Holding–Gesellschaften gesteuert und kontrolliert werden. Auch der Chemie–Multi Hoechst verfügt über 200 Produktionsstandorte in 67 Ländern, deren Namen sich wie in einem Prospekt für Fernreisen lesen: Ocoyadac an der mexikanischen Pazifikküste, Casablanca, Karachi am Arabischen Meer, Kawagoe in Japan und die Fiji–Inseln. Der Volkswagenkonzern in Wolfsburg wiederum besitzt in Brasilien mit VW do Brasil die überhaupt größte Auslandsgesellschaft eines deutschen Unternehmens, die etwa 50.000 Beschäftigte zählt. Der Aufstieg bundesdeutscher Konzerne zu transnationalen Unternehmen ist weitgehend leise geschehen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben auch die Gewerkschaften diese Entwicklung nicht als strategische Neuentwicklung begreifen wollen oder können. Unter dem Signum „neue internationale Arbeitsteilung“ wurde zwar registriert, daß in wachsendem Maße Länder der Dritten Welt als industrielle Produktionsstandorte von den Unternehmen genutzt wurden. Der Gesamtzusammenhang des Transnationalisierungsprozesses blieb aber weitgehend unbeleuchtet. Auf einer vom DGB–Bildungswerk in Starnberg ausgerichteten Tagung zum Thema „Transnationale Unternehmenskooperation und internationale Arbeitsteilung“ wurde diese Entwicklung jetzt diskutiert. Dabei wurde deutlich, wie weit das gewerkschaftliche Problembewußtsein, jedenfalls auf der Ebene der „Beschlußlage“, dem realen Prozeß hinterherhinkt. Das zugrundeliegende Problem ist nicht neu: Der Aktionsraum des Kapitals ist die Weltwirtschaft, der der Gewerkschaften das nationale Territorium. Mit der geographischen Asymmetrie ist eine Asymmetrie von Macht und Kontrolle verbunden, die - wenn überhaupt - nur mühsam durch die Schaffung internationaler politischer Zusammenhänge überwunden werden kann. Eine Minimal–Voraussetzung dafür wäre die Herausbildung konzern– und sektorenübergreifender Informationskanäle, die es den Gewerkschaften und Betriebsräten erlaubt, die von den Mutterkonzernen gelenkten transnationalen Aktivitäten überhaupt einschätzen zu können. Wie unterentwickelt solche Kanäle sind, hat zuletzt die - erst später zurückgenommene - Zustim mung des Betriebsrats des Kasseler VW–Werkes zur Teileproduktion gemacht, die den Streik der mexikanischen VW–Belegschaft zu unterhöhlen drohte. Adäquate gewerkschaftliche Reaktionen auf die transnationalen Produktionsentscheidungen der Konzerne sind dadurch noch schwieriger geworden, daß dieser Aufbruch bundesdeutscher Konzerne in die weite Welt mit einem Umbruch innerhalb der inländischen Produktionsorganisation einhergeht, der die gewerkschaftliche Position weiter schwächt. Das Zauberwort zur Verknüpfung beider Entwicklungen heißt Logistik, also die Managementtechnik zur optimalen Steuerung von Ma terialfluß und Produktion der Unternehmen auf nationaler wie internationaler Ebene. Konzerne wie Ford schreiben seit einiger Zeit Aufträge zur Produktion bestimmter Stückzahlen eines Typs konzernintern aus. Die jeweiligen Tochterbetriebe reichen dann Kostenangebote ein, auf deren Grundlage dann über den Auftrag entschieden wird. Es wird also innerhalb des Konzerns ein Wettbewerbsdruck simuliert, der in den jeweiligen nationalen Standorten zur Produktivitäts– und Effizienzsteigerung zwingt und darüber hinaus den betrieblichen Syndikalismus der Belegschaften verstärkt. Der Umbruch umfaßt noch wei tere Facetten. Um in den Besitz der jeweilig neuesten Produkt–, Produktions– und Fertigungstechnologien zu gelangen, beschreiten die Konzerne in den letzten Jahren einen Weg, der als Kooperation in der Konkurrenz beschrieben werden kann. Durch die Gründung von joint ventures erwerben die jeweiligen Konzerne wechselseitig technisches know how und Marktzugang auf bislang verschlossenen Märkten. Ein Beispiel unter vielen ist die Kooperation von Toyota und VW, die ab 1989 im Werk Hannover gemeinsam ein Nutzfahrzeug herstellen wollen. Die technologische Basis wird von Toyota bereitgestellt, die im Gegenzug dank der guten Händlernetze von VW Zugang zu diesem ökonomisch interessanten Marktsegment erhalten. VW wiederum erwirbt neuestes japanisches Produktionswissen und findet darüber hinaus eine Lösung für die Kapazitätsunterauslastung des Werkes Hannover. Internationale joint ventures nehmen aber auch deshalb schnell an Zahl zu, weil diese - zusammen mit Unternehmensein– bzw. -aufkäufen - die effizienteste Methode ist, um den zunehmenden protektionistischen Regelungen zu begegnen. Die von ausländischen Unternehmen im Inland gesteuerte Produktion kann nicht mit Zöllen oder Einfuhrrestriktionen begrenzt werden. Und schließlich ist für diesen Typus von Kooperation entscheidend, daß die gewinnbringenden Mindeststückzahlen von Einzelteilen pro Jahr - bei Achsen etwa 500.000 und bei Motoren etwa 1,5 Millionen - bei weltweit geringen Zuwachsraten des Automobilmarktes von einzelnen Produzenten nur selten erreicht werden können. Transnationale Unternehmenskooperation, etwa durch den Aufbau gemeinsamer Motorenwerke, steht deshalb auf der Tagesordnung. Internationalisierung und Peripherisierung der Produktion sind zwei Zusammenhänge und seitens des Managements kombinierte Stretegien, die neue Herausforderungen an die Gewerkschaften stellen. In den bundesdeutschen Gewerkschaften, das hat die Tagung gezeigt, werden diese Entwicklungen erst allmählich wahrgenommen. Strategische Antworten liegen noch in weiter Ferne.