I N T E R V I E W Krumme Dinger vom Fußvolk bis zur Spitze

■ Der Verteidiger im Schmücker–Prozeß, Philip Heinisch, über die chaotischen Verhältnisse beim Berliner Verfassungsschutz und die Folgen für das Verfahren

taz: Ein Verfassungsschutz, der für seinen „besten Mann“, Michael Grünhagen, ein Haus durch einen KGB–Agenten bauen und die Waffe, mit der angeblich Ulrich Schmücker 1974 ermordet wurde, verschwinden läßt - ist dies das übliche Chaos oder mehr? Heinisch: Eigentlich muß es so sein, daß Beweismittel, die für oder gegen die Angeklagten sprechen, sich bei den Akten oder Asservaten befinden müssen. Wesentliche Beweismittel werden heute öffentlich dargeboten und abgehandelt. Was können die Anwälte nun tun? Wir können 13 Jahre nach dem Tode Schmückers nur einen großen Skandal konstatieren. Wir haben keine Möglichkeit, das für unsere Mandanten Ent– oder Belastende zu überprüfen. Wenn sich herausstellt, daß da Fingerabdrücke von zwei Leuten drauf sind, die bis jetzt noch gar nicht in den Mordvorwurf miteinbezogen sind, muß ich sagen, das sollte mal bei einem normalen Mordprozeß passieren. Die Öffentlichkeit würde auf die Barrikaden gehen. Man muß dieses Verfahren eigentlich sofort einstellen. Es ist beim Bundesgerichtshof anhängig. Könnten die neuen Erkenntnisse dort eine Rolle spielen? Theoretisch nicht, aber atmosphärisch schon. Der BGH hat in unserer 3.000 Seiten starken Revision ohnehin genügend Anhaltspunkte. Das Urteil müßte allein schon wegen der Geheimhaltungspraxis von Polizei und Verfassungsschutz auffliegen. Der neue Fall ist eigentlich der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Ich hoffe, daß der BGH sagt, so ein Verfahren machen wir nicht mit. Das wäre gut für die Rechtskultur in unserem Lande. Wäre nicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß nötig? Die Zwielichtigkeit des gesamten Unternehmens muß endlich mal in Frage gestellt und belegt werden, sicher. Noch wichtiger ist, daß die gesamte Institution Verfassungsschutz so langsam also doch den Bach runter gehen wird, denn insbesondere Vizepräsident Pzytarski muß von den Sachen gewußt haben. Er hat damals als Staatsanwalt unsere Mandanten wider besseres Wissen als Zeugen vernommen und, als Ilse Schwipper die Aussage verweigerte, sie als Zeugin in Beugehaft nehmen lassen. Das ist eine klare Freiheitsberaubung im Amt, ein Verbrechen. Eine Strafanzeige ist damals niedergeschlagen worden. Merkwürdigerweise hat Springers Welt einen Tag vor den Panorama–Enthüllungen behauptet, mit gezielten Informationen werde im Sinne des KGB versucht, die Abwehr lahmzulegen? Na ja, jeder kann sich den Reim darauf machen, der ihm in den Kram paßt. Ich weiß nicht, wie der Verfassungsschutz reagieren wird. Ich setze keine große Hoffnung in seine Innovationsfähigkeit. Daß krumme Dinger passieren, ist in dem Amt geradezu angelegt. Das geht vom Fußvolk bis zur Spitze. Interview: Benedict M.Mülder