Sechs Stunden für Eltern sind genug!

■ Gesetzliche Initiative, die den Normalarbeitstag aller Erziehenden auf sechs Stunden festlegt / Sitzfleisch der Patriarchen braucht sanfte Knuten / Feministischer Stalinismus? / Von Marieluise Beck-Oberdorf

(...)Angenommen, es gäbe durchschlagende Emanzipationserfolge auf seiten der Männer, sie bekämen ihren Arsch aus dem Fernsehsessel hoch und würden umsichtige Hausmänner und gute Väter: Ein schwer belastetes Elternpaar mit Ganztagsberuf wäre dann immer noch nicht in der Lage, die Familienarbeit ohne Wahnsinns-Streß und Kräfteverschleiß zu leisten. Da hilft auch nicht die beste Oma oder die moderne Form von Nanni, heute Kinderfrau genannt (Schwarzarbeiterin versteht sich und mies bezahlt - Modell Lehrerfamilie).

Der für den „Ernährer-Mann“ gedachte Vollerwerbstag darf, so wie er heute ist, nicht auf die Frauen und Mütter übertragen werden. Und wenn Frauen ihn sich in seiner jetzigen Form erkämpfen, bestrafen sie sich selbst. Also doch Teilzeitarbeit? Ist es ob dieser Beschreibung nicht die realistische Konsequenz, die Don Quichoterie aufzugeben und eine Gleichberechtigung zum Mond zu schicken, die vor allem Belastung und Verlust von Lebensqualität bedeutet, statt Gewinn zu sein? Nein! Wir müssen den Spieß herumdrehen, nicht wir Frauen müssen in die Teilzeitarbeit gehen, um alle kompensatorischen Funktionen erfüllen zu können, nicht wir müssen uns als Puffer im Familienleben definieren, sondern die Männer und insbesondere die Väter müssen aus den überlangen „Normalarbeitstagen“ heraus. (...)

Alle Frauen, die noch an den Ausbruch aus der geschlechtsspe

zifischen Arbeits-und Familienwelt glauben und dafür kämpfen, können dies nicht durch den Rückzug in die Nischen der Teilzeitarbeitswelt verwirklichen.

Luft gibt es für Mütter nur dann, wenn für sie durch eine Verkürzung des „Normalarbeitstages“ für Erziehende überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen werden, in solch ein „normales“ Arbeitsverhältnis einsteigen zu können, das heißt in eine Arbeitsform, die nicht sämtliche Nachteile der Teilzeitarbeit aufweist. Zugleich bedeutet eine Arbeitszeitverkürzung für alle Erziehenden, daß die Väter für die Kinder auch wirklich verfügbar sein können.

Nota bene: Hier wird nicht der Vorschlag einer freiwilligen Arbeitszeitreduzierung von Müttern und Vätern gemacht. Daß bei der Freiwilligkeit allein die Frauen reduzieren und die Männer wie gehabt arbeiten, ist hinlänglich bekannt. Gedacht ist an eine gesetzliche Initiative, die den Normalarbeitstag für alle Erziehenden, sowohl für Frauen als auch für Männer, auf sechs Stunden reduziert.

Die Gesellschaft würde auf diese Weise der Tatsache Rechnung tragen, daß Kindererziehung Zeit braucht und daß Kindererziehung Aufgabe von Vätern und Müttern ist.

Stellen wir uns vor: Herr X bewirbt sich auf einen Abteilungsleiterposten bei der Bank. Er ist Vater und kann deswegen vom Gesetz her nicht länger als sechs Stunden pro Tag beschäftigt wer

den. Zwar ist er qualifiziert, aber dennoch hat er eben dieses Handicap, wie es so viele Frauen bisher schon immer hatten. Außerdem steht zu befürchten, daß er mal diesen oder jenen Tag ausfällt, weil seine Kinder gerade Masern haben oder zwecks Vorsorgeuntersuchung zum Kinderarzt müssen. Ein Karrierenachteil, werden Sie sagen? Aber selbstverständlich, eben der Karrierenachteil, den bisher in der Regel die Frauen zu schlucken haben, nun ausgedehnt auf Millionen berufstätiger Väter. Es kann erwartet werden, daß der Diskriminierungstatbestand Eltern von da an so viele Berufstätige trifft, daß er gleichsam nivelliert wird, weil eine gewisse Einschränkung der Verfügbarkeit fast zur Normalität von Erwerbstätigen wird, zumindest eine geraume Phase fast jeder Erwerbstätigenbiographie.

Nach einem großzügig bemessenen Erziehungsurlaub, wahrzunehmen zu gleichen Teilen von beiden Elternteilen, wäre so der Wiedereinstieg in den Beruf für Mann und Frau denkbar - für beide, wohlgemerkt. Unter Zuhilfenahme eines großzügigen öffentlichen Kinderbetreuungs-Parks sowohl im Kleinkindalter als auch für Schulkinder könnten beide Eltern vollerwerbstätig sein, und dennoch gäbe es eine gewisse Entspannung im Familienleben. Sechs Stunden sind genung!(...)

Eingedenk der Tatsache, daß bei langen Wegezeiten, ungünstiger Arbeitslage oder nur einem anhaltend keuchhustenkranken

Kind sich selbst das 6-plus-6-Stunden-Gefüge als untauglich entpuppen kann, möchte ich (bevor hier der triumphierende Hinweis auf die eben doch unersetz

bare und bewährte und bestens bewährte Frauen-Teilzeitarbeit kommt) anregen, das ganze Projekt doch gleich auch für fünf plus fünf Stunden zu diskutieren und

durchzurechnen.

Nun höre ich sie schon, die Liberalen, wie sie dem feministischen „Stalinismus“ entgegenschreien: „Eine grundsätzliche Begrenzung des Normalarbeitstags für alle Erziehenden? Kulturrevolution kann doch nicht durch das Gesetz gemacht werden! Es gibt doch den Weg der Teilzeitarbeit, warum nehmen denn Väter diese Möglichkeit nicht schon heute wahr, statt dessen soll per Gesetz herbeigezwungen werden, was freiwillig nicht durchsetzbar war?“

Das Sitzfleisch der Patriarchen hat mich gelehrt, daß sanfte Knuten ihr Gutes haben können. Auch innerhalb der Familien erfolgt die Arbeitsumverteilung nicht ohne Kämpfe. Aber eine Gesellschaft, die durch die Gestaltung ihrer Arbeitswelt dokumentieren würde, daß sie erstens Erziehungsarbeit ernst nimmt und auch als gesellschaftlich wertvolle Aufgabe begreift und zweitens Elternarbeit als Vater-und Mutterschaft begreift, die beide diese Aufgabe auch ausfüllen müssen, hätte für mich wieder einen gewissen Reiz.

Marieluise Beck-Oberdorf, geb. 1952, ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und hat zwei Kinder.

Der oben abgedruckte Text ist ein Auszug aus ihrem Aufsatz „Befreit die Väter! Sechs Stunden sind genug“, erschienen (wie auch der untenstehende von Ralf Fücks) in dem Buch „Wo liegt der Frauen Glück?“, herausgegeben von den Grünen im Bundestag/AK Frauenpolitik, Köln 1988