Träume vom Leben

■ Ausstellung des Blaumeier-Atelier: Ehemalige Psychiatriepatienten und solche, die es wohl noch länger bleiben müssen, drücken ihre Gefühle mit leuchtenden Farben aus

Ihre Masken, die sie bauen, gelten fast als Geheimtip, so schön und phantasievoll sind sie, und ihre Theateraufführungen und Straßenumzüge haben Aufsehen erregt ob ihrer bunten Vielfalt, ihrer eindringlichen Verbindung aus Traum und Wirklichkeit. Die Männer und Frauen, die durch derartige künstlerische Aktionen ihre Sprache fanden für Gefühle, die oft jahrelang unterdrückt und eingesperrt waren, gehören zum Blaumeier-Atelier. In ihm arbeiten ehemalige Psychiatriepatienten und solche, die es auf lange Zeit noch sein werden, gemeinsam mit sieben vom Senat eingestellten Mitarbeitern, machen sogenannte Verrückte zusammen mit sogenannten Normalen Kunst. Seit zwei Jahren gibt es das Projekt „Kunst und Psychiatrie“, das sich jetzt mit einer eher stillen, aber nicht weniger beeindruckenden Präsentation vorstellt: Dreizehn Blaumeier-Malerinnen und Maler zeigen ihre Bilder in der Vegesacker Straße 59 (einem Ausstellungsraum der Galerie des Westens) und im Cafe Kairo in der Reuterstraße.

Nein, zu erkennen ist es nicht, daß dies die Kunst von Menschen ist, die die Gesellschaft abgestempelt hat als „unnormal“, als geistig-psychisch krank, weil sie deren Gefühle nicht versteht. Und schon gar nicht ist zu sehen, daß unter ihnen einige sind, die seit Jahrzehnten Patienten der Klinik Kloster Blankenburg sind und es womöglich bis an ihr Lebensende bleiben werden. Was man dagegen sieht: Bilder von eruptiver Farbkraft, deren leuchtende Töne jedoch äußerst sensibel eingefangen werden. Kraftvolle Pinselstriche, die mal ganz locker übers (Pack-)Papier hüpfen, mal fest und sicher die Figuren umreißen. Farbe, immer wieder ist die Farbe entscheidend und wird mit großer Sicherheit eingesetzt.

Eine Art Verbeugung vor der Farbe sind die Bilder von Heinz Gräpendorf, der sie allein wirken läßt: einen schwarzen Himmel reißt er auf mit einem blauen Fleck - einer Sonne, einem zweiten melancholischen Himmel hin

ter dem ersten, einem flüchtigen Gedanken?

Ganz anders, aber ebenso bestechend in der Konsequenz und Leichtigkeit die Bilder von Karl-Heinz von Linden: „Zirkus“ nennt er zwei längliche Formate, auf denen sich einerseits blaue, andererseits rote Kreise und Striche zu einer Choreografie von bestechender Transparenz vereinen, einer fast schon klassischen Komposition. Sein blaues Strichmännchen auf gebrochen-rotem Grund läßt Erinnerungen an den großen Franzosen Jean Dubuffet wachwerden und unschwer nachvollziehen, warum die Kunst „geistig Kranker“ spätestens seit Beginn des Jahrhunderts die „normalen“ Künstler immer wieder faszinierte und anregte.

Im Blaumeier-Atelier werden keine Themen vorgegeben, jeder malt, was ihm in den Sinn kommt.

So wird ein Ausstellungsbesuch auch zu einer Begegnung mit entweder sehr realen oder sehr phantastischen Gestalten. Theo Hrsyna malt Soldaten, ganz naturalistisch und mit lockerem Duktus. Minna Quests Figuren bilden dazu den Gegenpol: Vogelmenschen steckt sie in prächtig bunte Kleider, die schimmern und strahlen und doch eher rätselhaft als aufdringlich wirken. Ganz alltägliche Situationen beobachtet Gisela Meyer mit ihrer „Telefonistin“, einem detailliert ausgeführten Bild von starker Präsenz. Alfres Schnieder träumt von Häusern in weiten Gärten, die übertupft sind mit Blumenreihen. Annemarie Meier läßt Buchstabenfolgen zum üppigen Schriftbild zusammenwachsen.

Vielleicht mag man manchen Arbeiten eher das Prädikat „Kunst“ zugestehen als anderen. Doch abgesehen davon, daß diese Definition ohnehin mindestens so relativ ist wie die des „Normalen“ und „Unnormalen“, wird etwas viel Wichtigeres aus allen Bildern ersichtlich, wie es im Blaumeier-Info -Blatt beschrieben steht: „Ersichtlich wird „die große Kraft, die im Schöpferischen selbst liegt, frei von einer biografischen Analyse und Beurteilung“. Die Blaumeier -Mitarbeiter/innen, die ihr Atelierprojekt keineswegs als Therapie-Einrichtung mißverstanden wissen wollen, sehen darin den Beweis „eben nicht der Notwendigkeit von mehr Therapie in unserer Gesellschaft“. Im übrigen betonen die „Blaumeier“, daß sich ihr Angebot von Theater und Malerei, Musik und Bildhauerei nicht an spezielle Gruppen richtet, sondern „an alle“. Kriterium fürs Mitmachen ist einzig die Lust dazu, nicht ob jemand krank oder gesund ist. Die „Blaumeiers“ treffen sich jeden Nachmittag in der Travemünder Straße 7a.

Beate Naß

Öffnungszeiten in der Vegesacker Straße 59:

Mo/Di 9 - 13, 14 - 17 Uhr, Mi 9 - 13, Do 9 - 13, 15 - 19, Fr 9 - 15 Uhr.

Im Kairo, Reuterstraße, ab 19 Uhr.