telewisch und weg

■ „III nach neun“: Heidi Schüllers Auf- und Abtritt im Eideidei mit Franz Christoph

Fast eineinhalb Stunden lang war alles wie gehabt: Schnarchlangweiliger Small-Talk zwischen Michael Geyer und der schneidig lächelnden Juso-Apparatschnika Susi Möbbeck; schlüpfriges Gestocher von Wolfgang Menge in Michael Strauvens Motiven für seinen infantilen Verklemmtheits -Verschnitt „Die Aufklärungsrolle„; Duz-Brüderschafts -Gesäusel zwischen Heidi Schüller und zwei deutschen „Rockexperten“, die aus der Sowjetunion die singende Katja herbeigeschleppt hatten, eingeschweißt in ein tiefschwarzes Minikleid, damit sie uns Mores lehre über die poppig-wilde Erotik des russischen Weibes. Ebenfalls wie gehabt der großzügige Einblick, den uns Heidi Schüller bei jeder Talk -Show in die von Klischees bewohnten Räume ihres Hirnkastens gewährt: „Bei russischer Musik denkt man ja immer an Balalaika“, floß es aus ihrem Mund. Und da die Katja aus Moskau des Englischen mächtiger war als die kauderwelschende Moderatorin, durfte sie kaum etwas sagen: Heidi Schüller gab ihr zwar, auf Regieanweisung hin, noch ein Mikrofon in die Hand, ließ sie damit aber fortan im Regen stehn.

Was die Musikeinlagen betrifft, hatte die Redaktion sich diesmal am Niveau der NDR-Talkshow orientiert: Eine Riege beleibter Mannsbilder im Cowboyhut - „Truck-Stop“ tituliert

-besang irgendein Fräulein, von dem angeblich eine der welken Gestalten flehentlich gebeten worden ist: „Tanz mit mir, laß mich deinen Körper spür'n“. Und natürlich war auch uns‘ Böttger mit seinem Klavier wieder ganz gut beschäftigt. Doch dann nahte der große Auf-und Abtritt von Heidi Schüller: Sie, die ehemals Hochleistungssportlerin und dann Medizinerin war - was sie in jeder Talkshow erzählen muß leidet außerdem stark unter dem Drang, sich die brisantesten Fälle vorzuknöpfen - und dann baden zu gehen. In einer der letzten Talkshows war es ein Taubstummer, mit dem zu reden sie als ihren „Herzenswunsch“ bezeichnete. Nur sprach sie dann niemals in seine Richtung, sondern mit der Dolmetscherin über ihn.

Diesmal aber war es ein „Krüppel“, Franz Christoph, der sich so unflätig zu wehren verstand, wie es dieser Moderatorin gebührt. „Herr Christoph“, begann sie - und mir stockte der Atem - „wie wirkt ein solcher Film auf sie ('Die Aufklärungsrolle‘), der so'n bißchen pralles Leben ist mit allem, was dazu gehört? Schmerzt das nicht?“ - „Das ist 'ne typische Spannerfrage für Nicht-Behinderte, die sich fragen: 'treibt's das Elend auch noch? '“ - „Ich habe Sie ganz ernsthaft gefragt und möchte die Frage auch ernsthaft beantwortet wissen.“

Es war von Anfang an ersichtlich, daß Heidi Schüller auch nicht die Spur einer Ahnung hatte, worum es ging. Wenn sich Behinderte offensiv und aggressiv „Krüppel“ nennen; wenn sie, wie Christoph, scharfsinnig die Öko-Bewegung zu Ende denken und „Gesundheit als Bürgerpflicht“ dahinter wittern; wenn sie die „Menschlichkeitsdampfwalze“ im „Jahr der Behinderten“ attackieren - kurz: wenn sie, wie Christoph, den Nicht-Behinderten demonstrieren, wie schnell deren „Geduld“ erschöpft ist, wenn sich Behinderte nicht gnädig von oben herab behandeln lassen, dann zeugt es von katastrophaler Unfähigkeit der „III nach neun„-Redaktion, ausgerechnet Heidi Schüller mit einem solchen Gespräch zu betrauen. Oder von Hinterhältigkeit: Vielleicht wollte man sie mit Absicht ins offene Messer der eigenen Unfähigkeit rennen lassen.

Es ist ihr gelungen, in kürzester Zeit sämtliche Studiogäste gegen Franz Christoph - und Horst Frehe, der sich schimpfend aus dem Publikum beteiligte - aufzubringen: Nach dem obligatorischen Anfangsapplaus, den der Krüppel für seine deutlichen Worte bekam, schlug die Stimmung bald um und ein zweiter, unhörbarer Text legte sich unter die Sätze im Studio: „Jetzt gib endlich Ruhe und strapaziere nicht unser Verständnis.“ Mit Zischen und unwilligem Raunen sekundierte das Publikum Heidi Schüller bei ihren so selbstgefälligen wie hilflosen Ruderbewegungen. „Ihre Fragen sind unheimlich dumm“, blaffte Horst Frehe von hinten, völlig zu Recht. „Es wird Ihnen nicht gelingen, mich auf dieses Niveau zu bringen“, sagte die Moderatorin von oben herab, natürlich nicht ahnend, daß sie bereits mit ihrer Eingangsfrage ihr eigenes Niveau als nicht unterschreitbar abgesteckt hatte.

Franz Christoph, der aggressive Krüppel, der so weit geht, in der Abtreibung behinderter Föten Euthanasie zu sehen, hätte einen Moderator - oder eine Moderatorin - verdient, der oder die sich mit ihm zu streiten verstünde; der ihm, wie es die Grüne Bärbel Rust versucht hat, seine Position da um die Ohren haut, wo sie mit anderen Lebensinteressen kollidiert. Schlicht jemanden, der ihn so ernst nimmt, wie er es verdient. Die Redaktion von „III nach neun“ hingegen hat ausgerechnet Heidi Schüller, die erfahrungsgemäß auch noch die harmlosesten Gespräche mit Regelmäßigkeit vergeigt, auf Franz Christoph losgelassen und damit demonstriert: Krüppel haben nichts Besseres verdient als Glamour-Tante Heidi.

Sybille Simon-Zülch