Erotik von der Kanzel herab

■ Vollere Kirchenbänke in der Zionsgemeinde, wo die weltliche Liebe gepredigt wird

Wenn Sie einmal Lust auf ein köstliches, bildreiches und höchst gleichberechtigtes Liebesgedicht verspüren, aber bei Ihnen kein gewagter feministischer Lyrikband im Regal steht, dann sollten sie die christliche Bibel genau in der Mitte aufschlagen. Da steht das „Hohelied Salomons“ geschrieben. Acht Kapitel, in denen die und der Geliebte sich wechselseitig in den heißesten Tönen besingen, acht Kapitel in denen garantiert nicht ein einziges Mal von Gott die Rede ist.

Hier eine Kostprobe, die Frau beginnt: „Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Büsten hanget.“ Darauf er: „Siehe, meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.“ Und sie wieder: „Siehe mein Freund, du bist schön und lieblich. Unser Bett grünt...“

Das „Hohelied des Salomo“ findet - daß werden Sie verstehen

-nur selten Eingang in christliche Kirchenschiffe. Der Pastor der Zionsgemeinde, Günter Danger, hat sich nun mit zwei Kollegen zusammengetan, um das biblische Lied auf die weltliche Liebe zu singen. Anstoß war eine Aids-Ausstellung des Hauptgesundheitsamtes, die die wagemutige Zionsgemeinde zwar in ihren Räumen beherbergt, sie aber bisher nicht im Gottesdienst zum Thema gemacht hatte.

Gestern eröffnete Gastprediger Henning Drude den dreiteiligen Predigt-Reigen mit einer Lesung aus dem „Hohenlied“. Etliche Bände, so Drude, seien in vergangenen Jahrhunderten geschrieben worden, um zu beweisen, daß im „Hohelied“ nicht von menschlicher, sondern von göttlicher Liebe die Rede sei. Zulange habe die Kirche Sexualität und damit auch den ursprünglichen Gehalt des Liedes als peinlich und anstößig abgespalten: „Es ist an der Zeit, von der Kanzel über die leibhaftige, die irdische Liebe zu reden.“

Doch wie legte der Krankenhauspastor das hohe Lied von der leibhaftigen Liebe aus? Die Gemeinde wartete gespannt, sie war viel zahlreicher versammelt als an normalen Sonntagen, an denen keine erotischen Themen per Flugblatt und „Bremer Anzeiger“ angekündigt sind.

Die Lied-Interpretation des Pastors gliederte sich streng in „drei Beobachtungen“, die in merkwürdigem Kontrast zur verspielten, überbordenden Lied-Erotik standen. Vor allem die erste „Beobachtung“ erinnerte ungut an „Beobachtungen“ von Biologie-und DeutschlehrerInnen. War doch dem Pastor als erstes aufgefallen, daß menschliche Liebende kultur- und zeitabhängige Worte benutzen, währenddessen Tiere nur über ein ewiggleiches Repertoire von Brunftlauten verfügen.

Zum guten Schluß sagte der Pastor auf der Kanzel, was von seinem Berufsstand erwartet wird. Daß „alle Liebe einem Ursprung entspringt - Gott“ Und dies sagte er sogar noch einmal, viel mutiger: „Darum ist alle befreiende, gelungene Liebe ein Lied auf Gott.“

Doch die Interpretation mitsamt Hinweis auf die Brunftzeit hätte er sich wirklich ersparen können, dafür gibt's nun wirklich die gymnasiale Oberstufe.

Barbara Debus