Filzballschlagen in der Provinz

■ 5.900 BesucherInnen aus Bremen und umzu kamen, um Boris Becker beim Daviscup-Training zu sehen Den Showteil gewann Jimmy Conners, das Spiel Boris Becker in drei Sätzen mit 7:6, 2:6, 6:3

Den kleinen, gelben Ball in der linken Hand, das Gewicht des Körpers leicht wippend von einem auf den anderen Fuß verlagernd, steht er da. Der Ball fliegt in die Luft, der Schläger im rechten Schlagarm fliegt in den Nacken, schnellt nach oben, trifft die Filzkugel. Für die Augen der Zuschauer kaum zu verfolgen, für den Gegner unerreichbar, zischt er über das Netz ins Aufschlagfeld - As: „15:0 Boris Becker.“

5.900 waren am verregneten Sonntag nachmittag in die Stadthalle gekommen, um einmal richtig lebendig zu besichtigen, was sonst im Fernsehen nur live zu sehen ist. Und kräftig berappt hatten sie für das Vergnügen. Wer oben unterm Dach, nichts mitkriegen wollte, konnte dies für 35 Mark tun; wer die Mimik des Stars sehen, die kleinen Witzchen hören wollte, mußte satte 120 Mark auf den Kartenverkaufstre

sen der Bremer Stadthalle legen. Kaum ein Stuhl blieb leer.

„Ford Boris Becker Challenge (Herausforderung) Cup '88“ nannte sich das Ereignis. Doch hinter dem merkwürdigen Namen stecken sehr vernünftige geschäftliche Ideen: Am kommenden Wochenende spielen die bundesdeutschen Tenniscracks in Dortmund gegen Jugoslawien um den Einzug ins Endspiel des Daviscups. Vor einem solchen Spiel

muß sich auch ein Racket schwinger von der Schlagstärke eines Boris speziell auf den Bodenbelag vorbereiten. Also wird ein Weltklasse -Trainingspartner verpflichtet, eine Stadt gesucht, der sportliche Großereignissen ansonsten weitestgehend versagt bleiben, zahlendes Publikum hinzugeladen, fertig ist das fremdfinanzierte Training unter Wettkampfbedingungen, der Schaukampf Boris Becker - Jimmy Conners.

Nicht, daß die beiden nichts arbeiten würden fürs Geld: „Ich reiß mir doch nicht drei Stunden den Arsch auf, um zu verlieren“, sagt „Jumbo“ Conners nach dem Spiel. Nein, Schweiß vergießen die Heroen reichlich in der Bremer Stadthalle, Becker noch mehr als der 36jährige amerikanische Oldtimer. Denn der hat, wenn Boris den Ball so richtig trifft, kaum eine Gelegenheit zum Return. 12 Mal alleine entscheidet Beckers Aufschlag über den Punktgewinn. Also teilt sich der Amerikaner seine Kräfte ein und läuft nur dann, wenn es sich für ihn lohnt. Kommt er aber ins Spiel, hetzt er den „young boy“ (Conners) von einer Ecke in die andere, bis der die Filzkugel ins Netz oder über die Linie drischt.

Und während Boris sich intensiv konzentriert und das Publikum und dessen Unterhaltungsbedürfnis fast völlig vergißt, findet Jumbo immer wieder Spaß

daran, die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Opfer, über die sich spotten läßt, sitzen und laufen am Spielfeld reichlich herum. Die Balljungen vergessen vor lauter Aufregung über den internationalen Einsatz, den Sinn ihres Daseins, der Linienrichter gestikuliert wild in der Gegend herum, statt deutlich anzuzeigen, ob der Ball im Feld war oder nicht, und den Schiedsrichter auf dem hohen Stuhl kann noch nicht einmal ein gezielter Ballwurf aus der Hand des Amerikaners aus seiner Lethargie reißen. Da rennt Conners hilfesuchend zum Organisator Ion Tiriac. „Wer ist der Kerl, ein Offizieller oder was.“ Doch auch der grießgrämige Rumäne weiß nicht weiter, zuckt nur mit den Achseln.

Ich spiel wie ein Verrückter, wie Chris Evert“, hatte Conners im ersten Satz noch lautstark und zur Freude der Zuschauer mit sich gehadert. Doch bis Boris Becker Spiel, Satz und Sieg er- und Pokal aus den Händen von Innensenator Bernd Meyer überreicht bekommen hatte, mußten die Zuschauer immerhin zweieinhalb Stunden synchron mit den Köpfen wackeln, dann hieß es 7:6, 2:6, 6:3. Und wenn Boris dann am nächsten Wochenende wieder Stunde um Stunde auf deutschen Fernsehschirmen hin- und herrennt, dann können 5.900 BremerInnen sagen. „Den haben ich schon mal ganz in echt gesehen.“

hbk