Senatliche Pistolen-Pädagogik

■ Weil Waffen zum „täglichen Bild Berlins gehören“ keine Feuerpause für Kinder

Drei Brüder, Türkenjungs zwischen 9 und 15, haben einen Sonntagnachmittag rumzubringen. Ohne Eltern, aber mit dem geballten Interesse pubertierender Knaben, besuchen sie den Flughafen Tempelhof, wo an diesem Tag des Jahres 1987 von den Alliierten vorgeführt wird, wie West-Berlin im V-Fall zu halten wäre. Flieger fliegen, Panzer schwenken die Rohre, die Nahkampfwaffen werden vorgeführt. Man kann sie in die Hand nehmen, zielen, abdrücken. Freundliche Soldaten erklären, die kids verstehen. Die drei Brüder sind beeindruckt, der 15jährige geht mit gutem Vorbild voran und legt sich, wenigstens, eine Gaspistole zu.

So weit, so normal, nur wird der Junge hochgemommen und wegen Verdachts auf unerlaubten Besitz der Pistole angezeigt. Sein Anwalt meint nun, das Problem bedürfe der gründlicheren Betrachtung, denn schließlich sei der Junge quasi von Amts wegen zum Delikt verführt worden. Kindern dürfen Knarren nicht als Fetische vorgeführt werden, ohne daß die Eltern wenigstens ahnen, welche Wünsche das Original in der Hand des Sprößlings ausgelösen könne. In Zukunft, so meint der Anwalt, sollten sie nur in Begleitung ihrer Eltern die Tempelhofer Show besuchen dürfen. Dafür, empfahl er unserem Regierenden Bürgermeister in einem Brief, solle er sich bei den Veranstaltern stark machen, denn es sei „verantwortungslos“, den kids nicht nur unbeaufsichtigt Zugang zu den Waffen zu verschaffen, „sondern ihnen dann auch noch in derart unreflektierter und unpädagogischer Weise den Zugriff auf solche Waffen zu ermöglichen.“

Weil der Regierende auf dem Weg in die Ferien war, im Schöneberger Rathaus wohl auch ein Konsens in Sachen Erziehung besteht, fühlte sich der Chef der Senatskanzlei, Winfried Fest, berufen, dem Anwalt die Grundzüge schwarzer Pädagogik zu erläutern. „Oft“, teilte er dem Anwalt mit, käme es „zu heftigen Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern von Veranstaltungen von Truppenverbänden“. Doch sei daran nichts zu ändern, „so lange die Notwendigkeit bewaffneter Streitkräfte besteht.“

Senatskanzleichef Fest jedenfalls ist „nicht der Auffassung“, das Problem sei zu lösen, indem „Kindern und Jugendlichen der Zutritt zu 'Tagen der offenen Tür‘ nur in Begleitung Erwachsener gestattet“ würde. Denn: „Leider gehören Waffen zum täglichen Bild gerade in Berlin. Wo Grenzanlagen und Wachtürme mit jederzeit schießbereiten Posten besetzt sind, muß es den alliierten Truppen möglich sein, deutlich zu machen, was sie zum Schutz der Bevölkerung dem entgegenzusetzen haben.“ Man entsinnt sich der öffentlichen Hysterie, als auf dem Kubat-Dreieck jemand, der sonst, wie jeder weiß, mit Holzkameras filmt, mit einer Spielzeugpistole herumfuchtelte. Und man begreift: Selbst unsere Polizisten sind zuwenig an Waffen im öffentlichen Leben gewöhnt.

Werner van Bebber