: DER OPFERTOD
■ Letzter Akt: Die Zerstörung
All diese Autos sind schon völlig verbeult, die Fenster sind geborsten oder fehlen ganz. Glatt und glänzend kamen sie damals aus der Fabrik. Mehr oder weniger zuverlässig haben sie tausende von Kilometern zurückgelegt und sich von braven Familienvätern in südliche Urlaubsorte lenken lassen, haben sich die Sitze von kleinen Kindern vollkotzen lassen, wurden fotografiert, um damit ihre Existenz auch den entfernt lebenden Verwandten zu beweisen, wurden am Kotflügel beschädigt, weil der Fahrer auf der hektischen Fahrt zur Arbeit sich nicht um die Vorfahrt kümmerte. Am Anfang wurden sie noch jeden Samstag gewachst, später gab's nur noch alle paar Wochen Ausflüge in die Waschanlage. Bis das Bodenblech durchgerostet war und der TÜV seinen Stempel verweigert oder die Besitzer genug Geld hatten und sich endlich ein neueres Modell anschaffen konnten. Dann folgte der kurze Handel mit einem Autoverwerter, die letzte Fahrt ohne Wiederkehr, manchmal schon am Seil des Nachfolgers hängend, das undramatische Ende eines absolut trivialen Gegenstandes, der bis dahin den Gesetzen einer entsakralisierten kleinbürgerlichen Welt gehorchte.
Für einen kurzen Moment kommen jetzt die Opel-Kadetts zurück vom Autofriedhof, um unter den neugierigen Blicken einer Gemeinde von Opel-Kadett-Fahrern zuerst ihre Wiederauferstehung und dann, nach dem letzten Schleuder -Walzer, nach dem letzten kühnen Überschlag, ihren endgültigen gewaltsamen Opfertod zu feiern, der nichts, aber auch gar nichts mit der standardisierten industriellen Beseitigung eines ausgedienten Wracks in der Schrottpresse zu tun hat, die uniforme, leicht stapelbare Quader produziert, einen nach dem anderen.
Hier sterben sechs Autos gemeinsam in einer letzten Schlacht, in einem theatralischen Spektakel mit brachialer Musik. Sie unterliegen buchstäblich „King Kong“, dem Stärkeren, der mit dröhnendem Horn, gleich den Trompeten von Jericho, die zuckenden Kadaver wieder und wieder krachend zerquetscht und endlich auf den bizarr deformierten Leichen, mit ihren heraushängenden Kabeln, ihren abgespreizten Rädern und ihren aufgesprungenen Türen triumphal verharrt, so daß das Ensemble noch im selben Moment zum mit sich selbst identischen Denkmal für sein eigenes Entstehen wird. Im Gegensatz zum Reiterstandbild braucht das Autostandbild keine fremden Helden, keine Fahrer. Die Technik selbst ist die Heldin, ihre Triumphe und ihre Niederlagen sind unabhängig vom Menschen und das Auto, das uns sonst so fern von seinem altgriechischen Namen erscheint, bekommt so vor unseren Augen seine göttliche Dimension zurück. Und dabei gibt es Leute, die all das womöglich für ziemlich dumpf halten.
Gabriele Riedle
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