ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Die Kunst der Rückkoppelung oder „69“

Dunkle Pullover, Donovan - Akkorde, Kontrast und Feinabstimmung von Frisuren und blasser Haut: The House of Love wollen an The Jesus & Mary Chain erinnern. Sie bringen es auf ihrer ersten LP aber bloß zum streberhaften Zitat und zur konsequenten Ausdünnung des J&MC-Grundeffekts: der genial simplen Kombinatorik von Folk und Feedback bei strikter Trennung der Stereokanäle. Auf „Christine“, der ausgekoppelten Single von The House Of Love, ist das Lärmelement als Zierleiste in den Song zurückgenommen. Im Vordergrund brüstet sich die Adoleszentenstimme von Guy Chadwick mit den gerade erst hinzugewonnenen Baßfrequenzen, was in diesem Fall weder frühreif cool klingt noch sympatisch verpickelt, sondern gefällig und leer. Immerhin erzeugt die gleichbleibend fade Süße bei LP-langem Genuß das Gefühl, daß die Einspeichelung des Immergleichen bei dieser Sorte Gitarrenpop an einem Endpunkt angekommen sein muß. Bald müßte wieder etwas Neues ausschlüpfen.

Vielleicht so etwas wie A.R. Kane. Die Verwendung von Rückkopplungen hat auch ihnen schon Vergleiche mit The Jesus & Mary Chain eingebracht. Das farbige Londoner Duo schert sich darum so wenig wie um die Verpflichtung, schwarzen roots treuzubleiben. „69“ heißt ihr erstes Album, was sich als Datum aber nicht auf die Hochphase des Pop, sondern auf zeitgleiche obskure Jazz-Experimentalisten beziehen soll, deren Namen sie nicht verraten. Allenfalls entschlüpft ihnen mal eine Reverenz an Sun Ra oder den Miles Davis von „Bitches Brew“. Oder ein abfälliges Wort über James Brown.

Vielleicht ist das aber auch bloßes Kokettieren mit Namen, Verhöhnung von Zeiten, in denen die Kids zu Jazz ohnehin bloß Carmel, Working Week oder Isabella Rossellini in „Blue Velvet“ assoziieren. Und A.R. Kane klingen auch nur von fern wie eine Jazz-Band. Der Verzicht auf brillante Spieltechniken (vielleicht nichts anderes als ausgebufftes, schwererarbeitetes Unvermögen) rettet einen wichtigen Impuls des Pop, das Gefühl, daß das ja jeder kann, hier, schau, die Finger aufs Griffbrett und los. Statt diesen Impuls aber als drei-Akkord-Erneuerung des Rock'n'Roll zu realisieren, haben A.R. Kane alles Rockige aus ihrem Sound herausgestrichen, die Songs auf ganz flüchtige Grundskizzen gebaut, die sie mit Klangspritzern und einer erstaunlich nuancierten Palette von Feedbacklärm kolorieren. Weich, traumverloren und herausfordernd klingt das, weil auf Anhieb keine vertrauten Bilder geweckt werden und die Gitarre gleichzeitig simpel und außerirdisch weit weg spielt. Vielleicht ist es eine Frage des Anschlags. „One soft plectrum is worth a thousand pairs of leather trousers“, sagte einer der beiden vor kurzem in einem Interview.

Vielleicht. Das Spannende an A.R. Kane ist, daß man sich an diese Klänge endlich mal wieder herantasten muß. Auf „Baby Milk Snatcher“, dem Stück, das noch am ehesten konventionelle Reggae-Strukturen ausstellt, schält sich nach längerem Hinhören die Zeile heraus „My Baby Sucks Me So, So Slow“. Man ist verblüfft (Ist DAS also der Sinn von „69“?), nicht weil der Inhalt schockierend wäre, sondern weil er meist im Kontext irgendwelcher Metal-Posen auftritt, an die einen diese wiegende und halbaufgelöste Musik keine Sekunde denken läßt. „Scab“, das nächste Stück, verflüchtigt sich in dem Moment, wo man eine Steigerung erwartet. „Sulliday“ verschwimmt ganz in einer Oberfläche von Klangpunkten.

Wem die eigenen Hörgewohnheiten in diesem Sommer zum Feind geworden sind, kann sich mit „69“ langsam aus ihnen herausrobben.

Thomas Groß

The House of Love: The House of Love; A.R. Kane: 69 (beide Rough Trade)