„Bloß'n büschen kalt ist die Ostsee“

Seit Jahrzehnten fühlen sich Nordrhein-Westfalen auf dem Eckernförder Campingplatz zwischen Kriegsschiffen und Bundesstraße wohl / Krach hören sie nicht / Gift sehen sie nicht / 1990 wird das „Paradies des kleinen Mannes“ geschlossen  ■  Vom Strand Petra Bornhöft

Eckernförde (taz) - Sechzehn LKWs, 13 Militärfahrzeuge, vier Busse, 210 Autos - und dann im Hechtsprung über die Straße. Das hat zehn Minuten gedauert. Ein Lastwagen wäre schneller. Einmal auf der dem Meer zugewandten Straßenseite, bräuchte er nur durch Jägerzaun und Heckenrosen brechen, über die dahinter liegenden Parkboxen rollen, und schon könnte er in das „Paradies des kleinen Mannes“ krachen. So nennen die Besitzer der Wagenburgen „ihren“ Campingplatz auf dem Strand der Eckernförder Bucht.

Im Vorgarten des Herrn Schmidt, Pensionär aus Düsseldorf, ist nur ein schmaler Streifen Sand nicht mit Teppichen abgedeckt. Vorsichtig schleppt der Mann den randvoll mit Trinkwasser gefüllten Eimer zum Plastikstreifenvorhang des Vorzeltes. Dort streift Herr Schmidt die Cloggs ab. „Man hat es sich gemütlich gemacht und hält es sauber“, sagt Frau Schmidt, während sie in der Kombüse die Hände aus der Abwaschschüssel zieht und an der Schürze abtrocknet. „Es“ das ist ein kleiner Wohnwagen mit Vorzelt, den sich die Schmidts vor drei Jahren leisteten, „für etwas mehr als 1,95 Mark, aber nicht so teuer wie ein richtiges Haus“. Den Blick auf den Orientteppich vor dem Klappstuhl gerichtet, erklärt die Großstädterin: „Wir suchten Ruhe und Frieden“, ihre Stimme kämpft abwechselnd gegen prasselnden Regen und Autolärm, „nun will man uns das Paradies nehmen.“ 1990 wird das Land Schleswig-Holstein den zwischen Bundesstraße und Kriegsschiffen eingeklemmten Zeltplatz „für den allgemeinen Erholungsverkehr freimachen“, bestätigt das Kieler Umweltministerium.

Darüber sind etwa hundert Dauercamper, die für 850 Mark Miete von April bis September an der Ostsee leben und überwiegend aus Nordrhein-Westfalen stammen, empört. Nichts kann der eingeschworenen Gemeinde die zweite Heimat vermiesen. Sie glauben nicht, was sie lesen. Vertrauen nur dem, was sie sehen und hören. Und das ist nicht viel. „Den Krach hört man nach zwei Tagen nicht mehr“, ruft Herbert Kowalski im Anmeldekabuff an der B 76, während draußen ein LKW vorbeidonnert. „Wen das stört“, meint der 66jährige frühere Arbeiter aus Dortmund, „der ist nervlich kaputt.“ Morgendliche Düsenjäger schmeißen vielleicht die Kurzurlauber von der Luftmatratze - nicht Herbert Kowalski. Seit über einem Vierteljahrhundert ist er während der Saison auf dem Platz und wurde mehrmals in der Lokalzeitung gewürdigt, „weil ich immer die schönsten Sonnenblumen züchte“.

Neben der Vorgartenpflege gehört seine Liebe dem Angeln. „Tonnenweise“ hätten sie früher Dorsch aus der Ostsee geholt. Vor sechs Jahren zappelten „binnen zehn Minuten 21 Dorsche an der Angel“, erzählt Freund Günther, der sich nachmittags mit Kowalski zum Klönen trifft. Damals hätten sie den ganzen Platz, „vor allem unsere alleinstehenden Damen“, mit Heringen versorgt. „Jetzt kriegste nur noch Aale und Quallen“, klagt Günther. „Oder Plastikkram und Kabel von den Torpedos“, fällt ihm Kowalski ins Wort und schimpft über die Bundeswehr, die er für den einzigen Verschmutzer der Ostsee hält.

Zwischen Kurstrand und Campingplatz schiebt sich die „Erprobungsstelle für taktische Waffen“ ins Meer. So war es auch schon mit einer „Schießbahn für Torpedos“ während des Krieges, sagen Einheimische. Im Rathaus schätzt man die Anlage ebenso wie das Flugabwehrraketenbataillon, U -Bootgeschwader, Kampfschwimmer der Unterwasserwaffenschule und die Marinefernmeldeschule. Kein Zweifel, Kriegsschiffe und die unübersehbaren Schilder „Vorsicht, Schußwaffengebrauch“ entsprechen dem, was der im Prospekt blätternde Kurgast sich unter der „heiteren, verträumten, romantischen Stadt mit Fischereihafen“ vorstellt.

Das militärische Treiben auf dem Wasser zu beobachten, findet Frau Walter aus Hagen „spannend“. Ungern nimmt sie den Feldstecher von der Nase. Gemeinsam mit ihrem Mann sitzt Frau Walter drei Wochen vor dem Zelt, wenn es nicht regnet. Sonst im Zelt, neben dem ein Wagen parkt, den das Ehepaar selten bewegt. „Das Baden macht Spaß, klar. Wir fahren ja immer wieder her, weil das Wasser so nah am Zelt ist“, sagt Herr Walter. „Weiter draußen würde ich mir Gedanken machen, aber hier am Ende der Bucht ist das Wasser sauber.“ Schließlich ist noch kein Robbenkadaver angetrieben, kann man den Fuß noch sehen, wenn das schaumfreie Wasser bis zum Oberschenkel reicht. „Die Leute baden wie verrückt“, behauptet Herbert Kowalski. Wenn man heute nur einen Schnorchler im Neopren-Anzug entdeckt, dann deshalb, weil „die Ostsee n'büschen kalt ist“.

Angst vor Erkrankungen äußert niemand. Allein die Jugendlichen von der Nordsee haben Bedenken. Drei von ihnen hätten nach dem Baden Bauchschmerzen bekommen, einer Ausschlag. „Aber das hat der sich vielleicht im Wellenbad geholt“, mutmaßt ein Kumpel, der es „viel beschissener“ findet, daß Eckernförde nur eine Disco hat und H-Milch auf dem Campingplatz 1,80 Mark kostet.

Sollte ein Urlauber es wagen, den mit dem Ausmessen der Sandburgen überlasteten Kurdirektor - wehe, einer buddelt tiefer als 75 Zentimeter - nach der Gefährlichkeit eines Schluckes Ostseebrühe zu fragen, läßt er durch eine Dame der Kurverwaltung wissen: „Es ist ungefährlich, ich glaube, da wird gemessen.“ Sie täuscht sich. Das Kieler Umweltministerium hegt „keinen begründeten Verdacht, daß Baden in Eckernförde akut gefährlich sei“, so der Pressesprecher. Daher bestehe kein Anlaß, die sehr kostspieligen Messungen auf Schwermetalle und chlorierte Kohlenwasserstoffe vorzunehmen.

Dazu ist das Land nicht verpflichtet. Die EG-Richtlinie über Badewasserqualität beschränkt die Messungen auf Kontrolle der Fäkalkeime in Wasserproben. Alles andere wird „dem Augenschein“ überlassen, so das Kieler Hygiene -Institut. Die Anzahl der krankmachenden Bakterien an Norddeutschlands Küsten erreiche nicht die EG-Grenzwerte, versichert das Ministerium.

Ob deshalb das Baden in der Ostsee gesundheitsfördernd sei, beantwortet der Sprecher eindeutig: „Der Mensch hält sich nicht wie die Robbe während seines gesamten Lebenszyklus im Wasser auf.“

Die Schmidts und Kowalskis interessiert das alles nicht die Bohne. Überzeugt davon, „unser Wasser ist sauber“, wollen sie den Platz behalten und am liebsten „so wie Frau G. mit 84 Jahren oder noch später hier sterben“. Dazu wird es nicht kommen. Nach jahrelangem Rechtsstreit ließ sich die Stadt Eckernförde, anfangs getrieben von der Interessengemeinschaft der Camper, 1985 vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg auf einen Vergleich ein. Danach duldet das Land die Camper bis 1990, um dann den Strand der Allgemeinheit zu überlassen. So verlangt es das Landschaftspflegegesetz schon seit 1973.