: „Wollen wir im Krieg mitbestimmen?“
DGB billigte im nachhinein Notstandsgesetzgebung / 1984 Verordnung von Blüm zugestimmt, die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften im Krieg regeln sollte / Mitwirkung in Arbeitsausschüssen zugesichert ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) - „Darf das wirklich wahr sein?“ Edgar Schmidt von der Stuttgarter Bezirksleitung der Industriegewerkschaft Metall konnte nicht fassen, was der stellvertretende DGB -Vorsitzende Gerd Muhr auf Anfrage aus Stuttgart am 15. Juli 1987 geschrieben hatte. Muhr bestätigte der Stuttgarter IGM, daß die Arbeitgeber, die nicht zum DGB gehörende Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) und eben der DGB einer Verordnung aus dem Hause des Bundesministers Blüm zugestimmt haben, die die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften im Kriegsfall regeln sollte. In der Antwort Muhrs auf eine Anfrage der IGM-Bezirksleitung Stuttgart steht in gewundenen Formulierungen ein eindeutiges Bekenntnis: „Die DGB -Zustimmung zu dem 1984 erörterten BMA-Entwurf zu einer solchen Verordnung“, schreibt der stellvertretende DGB -Vorsitzende am 15. Juli an den damaligen IGM-Bezirksleiter Ernst Eisenmann, „konnte und kann unter keinen Umständen als nachträgliche Zustimmung zu den 1968 mit dem Arbeitssicherstellungsgesetz geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten gewertet werden.“ Aber, so Muhr, man sei beim DGB der Auffassung, durch die Zustimmung und Beteiligung der Gewerkschaften an den in der Verordnung geregelten Rekrutierungsmaßnahmen könnten die „unkontrollierten, gegebenenfalls willkürlichen Entscheidungen des Arbeitsamtsdirektors“ bei der Durchführung eingedämmt werden.
Im 20. Jahr der Notstandsgesetzgebung, nach mehr als zehn Jahren Friedensbewegung kann der stellvertretende DGB -Vorsitzende Muhr gar nicht verstehen, wie der „unzutreffende Eindruck“ entstanden sein könne, „der DGB habe seine Ablehnung von Zwangsverpflichtungen von Arbeitnehmern im Notstandsfall aufgegeben“. Das Arbeitssicherstellungsgesetz ist Teil der seinerzeit von den Gewerkschaften heftig bekämpften und 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze. In Paragraph 34 dieses Gesetzes wird die Bundesregierung aufgefordert, per Verordnung zu regeln, wie die Arbeitskräfte im Kriegsfall auf die kriegswichtigen Betriebe zu verteilen sind. Jahrzehntelang war die sozialliberale Regierung dieser Aufforderung aus Rücksicht auf den zu erwartenden gewerkschaftlichen Protest nicht nachgekommen. Erst Arbeitsminister Blüm wagte sich 1984 wieder an die brisante Verordnung und erlebte eine Überraschung: Der DGB protestierte gar nicht, sondern sicherte seine Mitwirkung bei den „Arbeitskräfteausschüssen“ zu, die bei allen 149 Arbeitsämtern der Bundesrepublik eingerichtet werden sollten. Weitere Mitwirkende der Ausschüsse: die Verwaltung, die Arbeitgeber und die Bundeswehr.
Schon in Friedenszeiten sollten die Ausschüsse halbjährlich tagen und beraten, ob im Kriegsfall genügend Arbeitskräfte für Bundeswehr und Zivilschutz bereitstehen. Letztlich ist die Verordnung dann nicht am DGB, sondern am Widerstand des Koalitionspartners FDP gescheitert: Die FDP hielt das Kriegsspiel auf dem Arbeitsmarkt in Zeiten atomarer Abrüstung für völlig unsinnig.
Muhr versuchte sich drei Jahre später in dem Brief an die Baden-Württemberger damit rauszureden, die Verordnung habe lediglich geltendes Gesetzesrecht konkretisiert. Aber diese Beschwichtigungsversuche hinterließen in Stuttgart wenig Eindruck, sondern - wie der Sprecher der Bezirksleitung, Edgar Schmidt, in einem Brief an Muhr antwortete „beträchtliche Bitternis“. Schmidt fühlte sich heftig an Vergangenes erinnert, an die Mitwirkung der Gewerkschaften am „vaterländischen Hilfsdienstgesetz“ 1916, als ebenfalls Ausschüsse aus Militärs, Arbeitgebern und Gewerkschaften gebildet worden waren. Auch vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Nazis ein Instrumentarium zum Einsatz von zwangsrekrutierten Arbeitskräften geschaffen. „Wollen wir mitbestimmen beim Kriegmachen, wollen wir den Krieg bzw. die Kriegsarbeit kontrollieren, uns als Instanz im Krieg präsentieren, die Willkür verhindert? Zwickt Dich bei solchen Sätzen nicht Dein gewerkschaftliches Gewissen?“ Eine Antwort von Muhr an die Stuttgarter Bezirksleitung steht noch aus.
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