70 Jahre - und kein bißchen freier

■ Doch zu Mandelas Geburtstag beginnt die Front der konservativen Sanktionsgegner zu bröckeln

Sanktionen statt Blumen? Die deutlichen Worte des Präsidentschafts-Kandidaten Dukakis haben selbst Maggie Thatcher zum Nachdenken gebracht. Zum Geburtstag von Mandela stehen die Chancen, die neokonservative Achse der Apartheid -Unterstützer Washington-London aufzubrechen.

London (taz) - Die Entscheidung des südafrikanischen Justizministers Kobin Coetsee vom Dienstag, die Hinrichtung der „Sharpeville Six“ auf unbestimmte Zeit zu verschieben, stellt eine seltene politische Einmischung der Regierung Botha in die vermeintlich unabhängige Justiz des Apartheid -Staates dar. Besonders, seitdem die südafrikanische Rechte Präsident Botha nach ihren jüngsten Wahlerfolgen zu einem noch härteren Repressionskurs gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit drängt, hat sich Pretoria demonstrativ geweigert, dem internationalen Druck auch nur um einen Bruchteil nachzugeben. Die Aufschiebung der Hinrichtung wie lange sie auch Gültigkeit haben wird - hat gezeigt, daß eine konzertierte internationale Kampagne gegen das Rassisten-Regime durchaus Wirkung zeigen kann. Erreicht werden konnte der jüngste Erfolg jedoch nur, weil sich in der bisherigen Pro-Apartheid-Achse Washington-London -(Bonn???) erste Auflösungserscheinungen andeuten.

Da wäre zum ersten der demokratische Präsidentschaftskandidat Michael Dukakis, der im US -Wahlkampf in Sachen Sanktionen ganz neue Töne anschlägt und eine stärkere Unterstützung der Frontstaaten beabsichtigt, sollte er im November wirklich die Reagan'sche Nachgeburt in den Bush schicken. „Ein Aspekt einer harten anti -terroristischen Politik“, so sagte er unlängst im US -Fernsehen, „ist der Einsatz militärischer Macht gegen terroristische Ausbildungslager“ (womit er wohl die Ausgangslager südafrikanischer Lager auf die Frontstaaten meinte, R.P.). In einem Interview mit BBC versicherte er ferner, er werde versuchen, auch Frau Thatcher davon zu überzeugen, daß die internationale Gemeinde härtere Maßnahmen gegenüber Südafrika ergreifen müsse. Zur gleichen Zeit berät der Kongreß ein Gesetz, daß die Handelsbeziehungen der USA zu Südafrika weitgehend beenden würde. Sollten dieser Wahlkampfrhetorik wirklich handfeste Drohungen in Richtung London folgen, dann wäre die sture Haltung der britischen Regierungschefin gegen jede Form von „Sanktiönchen“ nicht mehr länger haltbar. Frau Thatchers derzeitiger Kurs, den Frontstaaten ein paar humanitäre Entwicklungshilfe-Krümel zuzuwerfen, gleichzeitig mit Pretoria „Business“ abzuwickeln und derweil geduldig auf ein plötzlich ausbrechendes Reformfieber Präsident Bothas zu warten, wird schon jetzt in Großbritannien innenpolitisch immer umstrittener. Der britischen Anti-Apartheid-Bewegung gelingt es angesichts der mangelnden Gegenleistungen Pretorias immer besser, die Schwächen dieser Politik deutlich zu machen. Der jüngsten Meinungsumfrage zufolge sind 45 Prozent aller Briten für und nur noch 35 Prozent gegen die Verhängung von Sanktionen, und selbst unter den Tories stimmen mittlerweile 37 Prozent für eine härtere Gangart gegenüber Südafrika. Die Mitgliedschaft in der schon immer gutorganisierten und lobbyerprobten Anti-Apartheid -Bewegung ist seit dem Mandela-Konzert vom 11.Juni im Londoner Wembley Stadion um 50 Prozent gestiegen. Und für die Großdemonstration zum Mandela-Geburtstag am Sonntag im Londoner Hyde Park werden mehrere Hunderttausend Teilnehmer erwartet. Oppositionsführer Kinnock reist unterdessen durchs südliche Afrika, von wo aus er am Mittwoch die duale Politik der humanitären Hilfe für die Schwarzen und des Geschäftemachens mit den Weißen als „hinterhältig und heuchlerisch“ brandmarkte.

Der Herrscherin in Downing Street ist der Wechsel des politischen Klimas in bezug auf Sanktionen durchaus bewußt. Seit Wochen wird im Regierungsviertel an der Ausarbeitung symbolischer Gesten gefeilt, die das allzu pretoriafreundliche Image der Premierministerin konterkarieren sollen. Zwar weigerte sich Frau Thatcher im Gegensatz zu anderen Regierungschefs, zum 70.Geburtstag Nelson Mandelas einen offenen Appell für dessen Freilassung auszusprechen, ihre Audienz für die Schwester eines der zum Tode Verurteilten von Sharpeville am Dienstag sollte Pretoria jedoch bereits eine härtere Gangart signalisieren. Außerdem kursieren in London Gerüchte, daß die Premierministerin und ihr außenpolitischer Pudel, Sir Geoffrey Howe, einen Weihnachtstrip durchs südliche Afrika planen, der möglicherweise von einem Besuch am Kap gekrönt werden soll. „Thatcher drängt Botha zu weiteren Reformen“, so könnten sich die Schlagzeilen anhören, die den sich andeutenden Rollenwechsel verdeutlichen würden. Coup der britischen Anstrengungen zum Imagewechsel sollte ein offenbar verhandelter Besuch des britischen Botschafters in Südafrika bei Mandela im Pollsmore-Gefängnis werden, der aber von den Mandelas aus politischen Gründen abgelehnt wurde. Nach dem sich andeutenden Zusammenbruch der neo -konservativen Achse Reagan-Thatcher, die jahrelang als internationale Stütze des Apartheids-Regimes funktionierte, wird es den Anti- Apartheid-Bewegungen zufallen, auf die Verwirklichung der neuen Sanktionsrhetorik zu drängen. Für Pretoria standen die Aussichten auf eine fortdauernde internationale Duldung seiner repressiven und rassistischen Politik jedenfalls noch nie so schlecht wie heute.

Rolf Paasch