PRODUKTEROTIK

■ Lüsterne Tageszeitungsvisionen im Freibad

Die meisten Typen hier haben doch die erotische Ausstrahlung eines taz-Handverkäufers...“, erklärt mir meine Disco -Bekanntschaft, und ich bin zunächst unentschlossen, wie das Gespräch weitergehen soll: Sex oder Zeitung.

Da steht sie auch schon auf und trabt ihrem Liebhaber hinterher, der wurd‘ schon langsam sauer.

Dabei vermittelt der Handverkäufer nur die Erotik seines Produkts weiter, und die erkennt man schon an seinem Ankündigungssingsang.

Entweder heißt es hektisch „taz, taz, taz“, schnell und oft, doch letztlich zuviel des Guten. Oder er versprüht sein gedehnt-gelangweiltes „die ta-ges-zei-tung„; da wartet man nun so lange, daß sie kommt und fragt sich plötzlich: is that all there is to a newspaper?

Variantenreich dagegen schon „die tageszeitung, die taz, taz von morgen!“, und, der guten Kleidung entsprechend korrekt, der Charlottenburger: „die tageszeitung“.

Dabei ist das Blatt grob im Sommerloch verschwunden, und manchmal ist es nur das Mitleid mit dem jeweiligen Dealer, der einen das alles auch noch lesen läßt: Streit um Robbensterben bei den Grünen (besser wär's umgekehrt), bei IWF-Stadtrundfahrt Bus kontrolliert (im Osten passiert so was täglich viele hundert Mal!), taz-Redakteur wegen Wespenstich in die Urban-Ambulanz eingeliefert... Müßte man sich mal fragen, was ist nun eigentlich mit der Erotik der Leser, aus der Perspektive des Handverkäufers, denn die Wattstraße hat mit so was nicht viel im Sinn, trotz all der hübschen Menschen dort, und dies kann nur am Leser liegen.

Nun soll unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten niemand behaupten, die Linke sei schlecht im Bett, da gäb‘ es ja sonst viel weniger Elterngruppen. Aber so wie eben die Dicke der Zeitung noch nichts über ihren spezifischen Gebrauchswert aussagt..., ach verdammt, den hat sie ja gerade nicht, weil sich die Leute in ihrer Privatheit nicht stören lassen möchten. Da kommt mal ein Kunst-Porno von Höge, eine verschämte Anspielung von Widmann, Geschichte der Theorie der sexuellen Befreiung bei den 60ern oder nächtliche Probleme bei der Mückenjagd des Lokalredakteurs Nowakowski, aber aus der Sicht des Otto Normalhandverkäufers will davon keine dieser hartgesottenen Gestalten aus der Berliner Alternativ-Kneipenszene etwas wissen. Arbeit suchen die Leute, und Wohnungen. Wo am Wochenende die Konzerte sind, wollen sie wissen und was morgen in der Glotze läuft. Ansonsten ist die taz entweder langweilig oder konterrevolutionär oder kumulativ beides zusammen.

Schnell wird sie beiseite gelegt, und es wird zurückgekehrt zu der Stammtischfrage, ob der IWF-Kongreß nun anzugreifen oder zu verhindern sei. Dieses löst sich dialektisch, wenn der IWF dadurch angegriffen wird, daß mann/frau den Kongreß verhindert. Oder lieber beides zerschlagen? Der pragmatische Revolutionär fährt da doch lieber in Urlaub und klinkt sich später bei 'ner Knastgruppe ein. Vorausschauend gedacht.

Doch hilft dies weder der Erotik der taz, noch der ihrer Handverkäufer auf die Sprünge. Vielleicht sollten letztere weniger in verräucherten, von Politmackern und Suffköppen heimgesuchten Spelunken oder vor U-Bahnhöfen, sondern mehr in Schwimmbädern und Discos ihre Kundschaft suchen.

Wobei sie sich die Discos auch sparen können, da dort erzielte Erfolge oder erlittene Niederlagen sowieso nächstentags im Schwimmbad aufgearbeitet werden. Der Handverkauf würde allerdings leider zum Saisonberuf. Aber zu was für einem!

Im Wege der Rückkoppelung würden die Redakteure so schreiben, wie ihre Leser denken, fühlen und sprechen. Die dröge Welt des Politischen und der Kleinanzeigen verschwindet zugunsten jener keusch-chaotischen Traumwelt neben dem Pool und unter der Sonne. Zur Abwechslung doch auch mal ganz spannend, so dazuliegen und über die Freiheit und den gebrochenen Katholizismus der Kärntener Mädels zu räsonnieren, während nebendran die neuesten Methoden beraten werden, wie den überall hinpissenden Typen zu begegnen ist: „Und weil ich den ganzen Tag schon so gut drauf war, hab ich ihn glatt angemacht: 'Ist der aber klein!‘ Da hat er sich ganz schön erschrocken.“

Zwei Schwule lästern über 'ne Frau vor ihnen - „Mein Gott, muß die ihre Dinger auch noch raushängen lassen...“

Eine neben der Dusche postierte Gruppe vietnamesischer Mitbürger bewundert die dort sich erfrischende barbusige Blondine, ein pubertierender Türke fragt „Yvonne“, ob sie schon in die Knutsch-Klasse aufgenommen sei.

Zum Schatten hin zwischen die Bierdosen der Kollegen vom Bau. „Das ist doch egal, ob du sie fickst, bis nur noch Luft kommt. Hauptsache, du hast die richtige Mittelfingerakrobatik drauf.“ „Vorher oder nachher?“

Von hinten höre ich meine Disco-Bekanntschaft mit ihrer besten Freundin: „Und dann hatte ich sogar einen Höhepunkt. Geiler als 'ne Eins in Mathe.“

Da müßte er jetzt kommen, der taz-Handverkäufer, mit schwarz-roten Bermudashorts und einem Körper aus der Werbung amerikanischer Fitnessmagazine. Oder lieber eine Handverkäuferin? Ach, ich sehe ein, daß sich dieser Service für drei Tage über 25 Grad im Jahr nicht lohnt.

Karsten Dose