Wendebäuche: "Kulturwelt: Maikäfer flieg - Kinder um 1945"

(„Kulturwelt: Maikäfer flieg - Kinder um 1945“, Di., 16.8., ARD, 23 Uhr) Zerstörte Städte. Die Höhenkamerafahrt kennen wir schon. Frankfurt, Dresden, Bochum. Verkohlte Menschen, halbe Menschen, halbe Häuser, viertel Häuser, keine Häuser. Eine leise Gitarre mit „Maikäfer flieg“. Kinder tragen eine Hakenkreuzfahne und marschieren, zum Spaß, wie Kinder es eben so tun. Allen Kindern stößt etwas zu. Warum nicht auch diesen? Was stößt ihnen zu? Die Ansagerin muß das Filmthema vom Zettel ablesen: „Wie mögen die Verhehrungen der ersten Kriegs- und ersten Friedensjahre, mag also die Wende von 1945 auf die heranwachsenden Kinder gewirkt haben? Wieviel Vertrauen in die Erwachsenen wurde damals zerstört? Spannungen zwischen den Generationen, die in den sechziger Jahren virulent wurden, haben hier sicherlich ihre Wurzeln“...

In diesem Film haben die Leute nur Vornamen, wie in der Therapiegruppe. Renate, Uli, Peter. Ihr menschlicher Tiefgang beweist sich an einsamen Spaziergängen durch die Natur (Renate), in Einkaufspassagen (Uli), zwischen ehemals verwüsteten, nun wieder hergerichteten Gebäudepassagen (Peter). Mit etwas Wind jeweils, versteht sich. Gefühlvoll, poetisch, authentisch wie ihre Erinnerungen, eine Mischung, die die Fernsehdokumentarherstellerin und ihr geschicktes Konfrontieren mit schockierendem Material zum geeigneten Zeitpunkt hervorzurufen wissen. Renate muß ein Fotoalbum mit Fluchtbildern ansehen, „tatsächlich seit damals zum ersten Mal!“, erhöht die Kommentatorin unseren Erlebniswert, und Renate fängt prompt an zu weinen. Uli muß per Video „Bomben auf Bochum“ gucken, und ist, wir sehen es, er sagt es aber extra noch dazu, „wirklich erschüttert“. Peter wird runter in den alten Schlupfraum geschickt, dessen erinnerungsträchtige Enge wieder richtig beklemmt. So plaziert helfen die Protagonisten nach besten Kräften, die gefährdete Kindheit aus sich herauszuziehen. Sie werden wieder ganz Kind, glänzenden Auges bebildern sie uns eine unmittelbare, bruchstückhafte, unreflektierte Erlebniswelt von Sirenen, Kaugummi, Angst.

Virulenz? Renate ist vielleicht ein wenig zäher geworden, und von allen, allen hat nur die Schwester von Uli etwas gelernt. Aus der Geschichte mit den Wanzen plötzlich unter ihrer Matratze hat sie gelernt. Später erst nämlich, was das für die sonst doch immer so reinlich gewesenen Erwachsenen wirklich bedeutet hat...

Kurz darauf markiert Florian die junge Generation, die „sorglos“ sei und „fordernd“, weiß die Stimme aus dem Off. „Kann Uli, wenn der Neffe danach fragt, seine Erlebnisse von damals überhaupt noch vermitteln?“ Die Quizfrage. Wir sind gespannt. Die beiden treffen beim Geburtstagstorteessen aufeinander, weißes Hemd, chice Hose, fettes Wohnzimmer. Uli ruft eindringlich: „Unsere kleine, menschliche Welt! Sie ist kaum zu beschreiben. Der Hunger. Das Frieren. Du hörst im Fernsehen über diese Judengeschichte, diese ganze, und bist entsetzt. Wir kannten gar kein Fernsehen!“, Betonung auf „wir“, und Florian dreht ratlos seinen Kuchenteller. Was immer Kindern zugestoßen sein mag, in diesem Land ist es längst durch die Köpfe gerutscht und gegessen. Verdauungsreste im Darmbauchbereich sollten vielleicht wirklich in Therapiegruppen abgehandelt werden. Florian und mich interessieren sie jedenfalls nicht so besonders.

Susan Cheap