Medien-Linke

■ Von alternativen Zeitungen und Medien, linken Medienschaffenden und deren Weg in die etablierte Publizistik

Karl-Heinz Stamm

I. Als ich unlängst die Tagesschau ansah, fiel mir als erstes die Stimme auf, die aus dem Off kam. Diese Stimme kennst du, dachte ich, die klingt zwar anders, aber die kennst du. Am Ende des Nachrichtenbeitrages wurde meine Irritation aufgelöst, da stand es: ein Bericht von Brigitte B. Mein Gott, dachte ich, was muß die an ihrer Aussprache gearbeitet und gefeilt haben! Dieser schnodderige Sponti -Ton, der die Endkonsonanten wegdrückt, war einer nüchternen Nachrichtensprache gewichen, emotions- und gefühllos, klar, sachlich, trocken.

Aber so geht es mir in letzter Zeit oft: Schlage ich eine Zeitung auf, schalte ich das Radio oder den Fernsehapparat ein, dann springen mir altbekannte Namen entgegen. Namen, die mit Medien, mit alternativen Zeitungen und Blättern verbunden sind. So zum Beispiel Burkhard, einer der wenigen, der schon damals beim altehrenwerten 'Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten‘, kurz ID genannt, den selbstgewählten Anspruch, die Betroffenen zu Wort kommmen zu lassen, nicht ganz ernst nahm. Er schrieb selbst und verkaufte seine Artikel sogar noch an die etablierten Medien. Heute ist er Nachrichtenredakteur beim Rundfunk. Oder Sabine, die, kaum daß sie als taz -Korrespondentin in Bonn Platz genommen hatte, auch schon vom 'Spiegel‘ abgeworben wurde. Ebenso erging es Eberhard, der schon lange nicht mehr für den kargen taz-Einheitslohn von 1.300 Mark aus der Hauptstadt der westlichen Welt berichtet. Auch er arbeitet heute für eine Hamburger Zeitung.

II. Als Rudi Dutschke auf dem Höhepunkt des antiautoritären Protestes den Marsch durch die Institutionen propagierte, wurde er spöttisch wegen seines Reformismus belächelt. Revolution war angesagt. Heute ist der Aufbruch versandet, und der Protest feiert sein 20jähriges Jubiläum. Was da aber momentan in den Feuilletons stattfindet, ist nicht die Reflexion und die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte, sondern ihre mediengerechte Vereinnahmung und Vermarktung, was zugegebenermaßen oftmals auch ganz reizvoll sein kann.

Es sind aber nicht nur die Aktivisten von einst, die heute in den Redaktionsstuben und Sendezentralen sitzen, auch alle anderen nachfolgenden Bewegungen sind diesen Weg in die Kommunikations- und Mediengesellschaft gegangen. Ob Ökologie - oder Alternativbewegung, ob Friedensinitiative oder Bürgerprotest, sie alle haben sich auf die Medien gestürzt, um die Unmittelbarkeit der Aktions- und Protestformen abzusichern und zu verstärken.

Zwar gibt es eine Vielzahl grün-alternativer Lehrer, so daß die Kids von heute wieder gezwungen sind, in die SPD zu gehen, wollen sie nicht im grünen Ortsverband neben ihren Lehrern sitzen; zwar ist die Ärzteschaft nicht mehr fest in der Hand des Hartmannbundes, und es gibt auch die nicht -traditionalistisch denkenden Naturwissenschaftler und Techniker, die für ein Gegengutachten allemal gut sind, aber in keinem Bereich haben sich die Linken derart etabliert wie in dem der Medien. Das bedarf einer Erklärung.

III. Die Medienfixierung der Linken hat zwei Gründe: Zum einen war den Protestgruppen in der ersten Hälfte der 70er Jahre der Zugang zu den etablierten Medien weitestgehend versperrt. Man war so gezwungen, sich die einfachen Kommunikationstechnologien wie Flugblatt- und Zeitungsproduktion anzueignen, wollte man den Protest der Straße, der Aktionen und Demonstrationen medial verstärken und absichern. Die junge Geschichte der neuen sozialen Bewegung ist deshalb auch immer verbunden mit einem Kampf um einen Zugang zur Öffentlichkeit. Zum anderen wurden die Erwartungen an eine faire Berichterstattung seitens der bürgerlichen „Journaille“ immer wieder enttäuscht. Ein Bürgerinitiativmitglied brachte das einmal auf folgenden Nenner: „Aus den Selbstdarstellungen war das Wesentliche gestrichen, über die Aktionen kam überhaupt nichts, und der Schreiber, der von unserer Demonstration berichtete, muß auf einer anderen Veranstaltung gewesen sein - kurzum: Wenn sich die Presse schon mal kümmerte, stimmte der Artikel hinten und vorne nicht.“

Und so war es nur konsequent, daß sich die neuen sozialen Bewegungen eigene Medien schufen. Mit einer Trias von alternativer Presse, sogenannten „Freien Radios“ und Videogruppen entfalteten sie eine Gegenöffentlichkeit, in der nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeption der Medien anders sein sollte. Insbesondere alternative Zeitungen und Blätter schossen wie Pilze aus dem Boden: Stadtzeitungen und -magazine, Dorf- und Landzeitungen, Zeitungen für Schwule und Lesben, für Mieter und Architekten, für Spirituelle, New Age und Esoterik. Zwar ist die alternative Presse seit geraumer Zeit von einer Strukturkrise geschüttelt, die sich durch Zeitungssterben oder Professionalisierung auszeichnet - so haben u.a. die älteste Stadtzeitung der Bundesrepublik, das 'Münchener Blatt‘, aber auch 'Radikal‘ aus Berlin sowie die Frauenzeitung 'Courage‘ ihr Erscheinen eingestellt gleichwohl wächst die Zahl alternativer Printmedien ständig. Erfaßte das „Riesengroße Verzeichnis aller Alternativzeitungen“ 1981 noch 439 Titel, so waren es 1986 schon knapp 600. In ihrer Mitte die überregionale Tageszeitung 'taz‘, die im nächsten Jahr immerhin ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, und wenn die Auguren nicht irren, wird es schon bald ein linkes Wochenblatt geben, das dann mit den Konkurrenten auf dem Zeitungsmarkt den Kampf um Leser aufnimmt.

Die Medienwut der Linken hat aber auch die Buchproduktion immens angekurbelt. Nicht nur sind eine Unzahl linker Verlage entstanden, auch zwei linke Verlagsauslieferungen sorgen heute dafür, daß die Renner der Saison pünktlich an den Mann, respektive an die Frau kommen.

Die Ausbildung eines differenzierten alternativen Mediensystems hat nun aber zur Folge, daß innerhalb der linken Öffentlichkeit der Diskurs, die persönliche Debatte und Auseinandersetzung in den Hintergrund treten. Dabei sollte die „horizontale Kommunikation“, im Gegensatz zum vorherrschenden „vertikalen Kommunikationsfluß“ den direkten, unmittelbaren Kontakt zwischen den vereinzelten Betroffenen, den Initiativen und Gruppen wiederherstellen. Dieses, an überschaubaren, dialogischen Öffentlichkeitsvorstellungen orientierte Ideal ist aber längst in den Hintergrund getreten. Denn in dem Maße, wie die gegenkulturellen Sozialzusammenhänge auseinanderbrechen, schieben sich mediale Vermittlungsinstanzen dazwischen. Die Medien werden zu Foren des politischen Diskurses, die mediale Debatte wird zum vorherrschenden Prinzip, während die personale Kommunikation, das Streitgespräch und die Versammlung vor großem Publikum, in den Hintergrund tritt. Man diskutiert nicht mehr selbst, sondern läßt diskutieren. Schließlich vermittelt die Rezeption der Medien das Gefühl des Dabeigewesenseins, der Medienkonsum dient als Handlungsersatz und entlastet von eigener Untätigkeit.

IV. Am Ende der Studentenrevolte 1970 hat Hans Magnus Enzensberger in seinem Aufsatz „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ noch die defensive Haltung der Linken dem Mediensystem gegenüber angeprangert. Das sollte sich aber bald ändern. Gab es in der Tat in der Bewegung der Studenten noch erhebliche Berührungsängste den etablierten Medien gegenüber - die Anti-Springer-Kampagne war ein Ausdruck dieser Frontstellung -, so werden in jüngster Zeit von den Protestgruppen die etablierten Zeitungen, Funk und Fernsehen ungeniert eingesetzt und genutzt. Die Bewußtseinsindustrie gilt nicht mehr länger als übermächtige Manipulationsinstanz, der man sich verweigert, sondern als willkommener Partner, der dem eigenen Anliegen Öffentlichkeit verschafft. Der Medienpurismus der Linken ist einem instrumentellen Interesse an denselben gewichen.

Höhepunkt dieser Entwicklung, in der die Aktionsformen des Protestes sich den Bedürfnissen der Medien angleichen, sind die Umweltorganisation „Greenpeace“ und „Robin Wood“, die einzig an der Vermarktung ihrer Aktionen noch interessiert sind, nach dem Motto: „Was nützt ein Striptease auf dem Eiffelturm, wenn niemand davon weiß.“ Hier hat sich eine medienbezogene Informationsproduktion durchgesetzt, die primär darauf schaut, wie die Aktionen sich inszenieren lassen, damit sie ein Optimum an Publizität entfalten. Politische Aktionen finden heute nicht mehr um der Erfahrung der Beteiligten willen, sondern als symbolische Inszenierung um der Medien willen statt. Das Medienereignis steht im Vordergrund.

Gelang es den 68ern noch mit spontanen Aktionen, mit Sit -ins und Go-ins, die selbstgefällige Ruhe des sogenannten Establishments zu stören, den Mief der Adenauernachkriegsära zu durchlüften, so müssen die Aktions- und Protestformen von heute auch deshalb spektakulärer und professioneller sein, damit sie die wachsende Aufmerksamkeitsschwelle der Massenmedien überwinden können. Hat der inflationäre Gebrauch öffentlichkeitswirksamer Aktionen doch dazu geführt, daß sich die Medien an diese gewöhnt haben. Deshalb setzt beispielsweise die in Schotten ansässige Bürgerinitiative, die sich gegen den fortwährenden Wasserentzug aus dem Vogelsberg wehrt, heute Methoden des modernen Produkt-Marketing ein, PR-Maßnahmen, um ihren Protest in die Öffentlichkeit zu lancieren. In speziellen Handbüchern und Leitfäden der Friedensbewegung wird der Umgang mit den Medienvertretern beschrieben, denen man, „arbeitsunlustig wie die Journalisten und Reporter nun einmal sind“, während der angekündigten Aktion die vorgefertigten Presseinformationen in die Hand zu drücken hat. Professionalität ist Trumpf.

V. Der Umgang mit und die Produktion von Medien ist so zu einer Hauptbeschäftigung ganzer Protestgenerationen geworden. Eine Medien-Linke ist entstanden, die in einem kaum zwanzigjährigen Prozeß nicht nur immer wieder neue Themen auf die öffentliche Agenda setzt, sondern die dabei auch gelernt hat, vorzüglich auf der Klaviatur der öffentlichen Meinungsbildung zu spielen. Hat man sich doch in einem Aneignungsprozeß von unten mit den einfachen Medien- und Kommunikationstechnologien vertraut gemacht. Die Protestgenerationen haben dabei eine mediale Kompetenz entwickelt, die jeden einzelnen nicht nur zu einem bewußten Medienkonsumenten, sondern auch zu einem Produzenten werden läßt. Artikel schreiben, Kommentare sprechen und Videos drehen, das sind nicht mehr länger die Fähigkeiten einer Kommunikationselite, einer Journalistenkaste, sie sind vergesellschaftet und sozialisiert worden.

Was sich in den alternativen Sozial- und Lebenszusammenhängen, in den Initiativgruppen und Protestmilieus heute zeigt, ist, daß die herkömmliche Distanz von Kommunikator und Rezipient, von Schreiber und Leser, weitestgehend nivelliert worden ist. Wenn Bertold Brecht in seiner 1927 formulierten Radio-Theorie davon spricht, daß jeder Hörer ein potentieller Sender sei und auch werden soll, dann hat sich diese Utopie in der Medien -Linken von heute ansatzweise realisiert.

VI. Die neuen sozialen Bewegungen haben aber nicht nur ständig neue Themen parat, schaffen neue Medien, sie versorgen auch die etablierte Presse mit innovativen Schreibern und Schreiberinnen. Kaum hat sich der ungeübte Laienredakteur nach der Devise learning by doing sein journalistisches Handwerk angeeignet, gelernt, seinen Text sinnvoll zu redigieren und pfiffige Überschriften zu formulieren, da bekommt er auch schon das verlockende Angebot einer gut situierten Zeitung auf den Tisch. Wer will da, angesichts der müden Märker, heute noch standhaft bleiben, wo doch die Freundin gerade das zweite Kind erwartet und das Auto zum vierten Mal zusammengebrochen ist?

In dem Maße aber, wie die alternativen Medien zu Ausbildungsstätten des journalistischen Nachwuchses werden, hat das fatale Folgen, ist mit der Abwanderung der alternativen „Edelfedern“, wie die Spitzenschreiber im 'Spiegel'-Jargon heißen, auch ein Auszehrungsprozeß alternativer Publizistik verbunden. Daß die Medien der alternativen Öffentlichkeit das Sprungbrett für den journalistischen Nachwuchs sind, ist nach Harry Pross so untypisch aber nicht, war die linke Medienproduktion, das zeigt ihre Geschichte, doch immer schon der Humus der etablierten Publizistik.

Es sind aber nicht nur Presse, Funk und Fernsehen, die sich den frischen Nachwuchs von 'Pflasterstrand‘ und 'taz‘ einkaufen, auch die Pressestellen der Parteien und Verbände wissen die vorwitzige Professionalität und die in vielen nervenzerreibenden Diskussionen trainierte Durchsetzungskraft der linken Medienschaffenden zu schätzen, so daß heute selbst der Weg vom engagierten, eingreifenden Journalismus zu dessen „Totengräbern“, den PR-Spezialisten und Öffentlichkeitsarbeitern, geradezu selbstverständlich ist. Insbesondere sind es natürlich die Grünen, die ihren journalistischen Bedarf aus dem alternativen Medienmilieu rekrutieren; die Berliner FDP-Senatorin Schmalz-Jacobsen, die einen taz-Lokalredakteur zu ihrem Pressesprecher macht, ist da doch die Ausnahme.