Freie Fahrt ins Gentech-Eldorado

Spanien prescht mit extrem liberalem Gesetz zur Expansion der Gen- und Reprotechniken vor / Sogar Eingriffe in die Erbsubstanz werden erlaubt / Man hofft auf Transfer von Kapital und Know-How aus dem Norden  ■  Von Gunhild Schöller

Noch in diesem Sommer werden in Spanien die regierenden Sozialdemokraten ein Gesetz verabschieden, das zu Entwicklung und Expansion der Gen- und Fortpflanzungstechniken entscheidend beitragen soll. Von der Öffentlichkeit unbeachtet passierte der Gesetzentwurf das Parlament. Jetzt wird Spanien das erste Land in der EG sein, das ein Gesetz hat, das den rechtlichen Rahmen für Gen und Fortpflanzungstechniken absteckt. Aber in Spanien machte man es sich mit dieser komplizierten und politisch brisanten Materie sehr einfach: Der Forschung werden fast keine Grenzen gesetzt. Nicht ansatzweise wurde während des Gesetzgebungsverfahrens der Versuch gemacht nachzuprüfen, welche Risiken und Gefahren die Gen- und Reproduktionstechniken in sich bergen und ob sie mit der Würde des Einzelnen zu vereinbaren sind. Vielmehr wurde davon ausgegangen, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt grundsätzlich gut sei und die Gen- und Reprotechniken folglich auch zum Wohle der Gesellschaft und des Individuums angewendet werden.

Die Kommission, die unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Marcelo Palacios den Gesetzentwurf ausarbeitete, kommt so zu dem Schluß: „Es scheint keine Zweifel daran zu geben, daß die wissenschaftliche Forschung erweitert werden und fortschreiten soll, und daß sie nicht beschränkt werden soll, es sei denn durch wohlbegründete und rationale Kriterien...“ Was sie allerdings unter „wohlbegründeten und rationalen Kriterien“ versteht, da hatte die Kommission ihre sehr eigenen Vorstellungen. Bei der Anhörung der „Experten“ wurden bevorzugt zustimmende Statements eingeholt, während die einzige kritische Stellungnahme einiger Frauen, die in der „Associacion de Mujeres Para la Salud“ (Frauenvereinigung für die Gesundheit) zusammengeschlossen sind, als „zu ausführliche Stellungnahme“ ignoriert wurde. Die Kirche schweigt

Ungehindert von einer öffentlichen Diskussion - nicht einmal die Kirche schaltete sich ein - wird auf diese Weise in Spanien ein Gesetz durchgezogen, das der Forschung und Anwendung dieser riskanten Techniken praktisch keine Grenzen weist. Ausdrücklich wird sogar betont, daß man es nicht für nötig hält, alle Anwendungsmöglichkeiten und Implikationen der neuen Wissenschaft rechtlich zu regeln. Die mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten verzichteten auch darauf, für Verstöße konkrete Sanktionen zu benennen.

Wie in England (s. Teil II der Serie, taz vom 11.August) geht man auch in Spanien davon aus, daß es in der menschlichen Entwicklung einen Prä-Embryo und einen Embryo gibt. Der Prä-Embryo - so wurde von der englischen Warnock -Kommission abgeschrieben - sei nur eine „Zellgruppe“, bei der man noch nicht unterscheiden könne, welche Zellen zum Kind sich entwickeln würden und welche zur Placenta gehörten.

Als Prä-Embryo gilt danach der Embryo bis zum 14.Tag nach der Verschmelzung der Kerne von Ei- und Samenzelle. Und so lange darf auch ungehindert an ihm geforscht werden, wobei die Zeit, die er möglicherweise in der Tiefkühltruhe verbringt, als „Unzeit“ nicht mitgerechnet wird. Über den 14.Tag hinaus ist es verboten, den Embryo (im Reagenzglas) weiter zu züchten, denn ab dem 15.Tag gilt er dann plötzlich als schützenswertes „ungeborenes Leben“. Die Forschung muß also abgebrochen werden - dem (Prä-) Embryo werden die nährenden, wachstumsfördernden Bedingungen jäh entzogen. Diese Embryonen gelten dann als „nicht lebensfähig“. Sie dürfen jedoch nach dem spanischen Gesetzentwurf z.T. weiterverwendet werden, z.B. in der Pharmazie.

Erlaubt wird in Spanien auch die Prä-Implantations -Diagnostik, ebenfalls ein „Bonbon“ für Ärzte und Forscher, das sie in anderen Ländern voraussichtlich nicht bekommen werden. Dabei wird ein Embryo im Reagenzglas gezeugt, einzelne Zellen werden untersucht und inspiziert und erst danach in den Uterus der Frau eingepflanzt. (Kotz ... d.S.)

Skandalös und entsetzlich naiv ist die Absicht der spanischen Regierung, sogar Eingriffe in die Keimbahn zuzulassen. Forscher und Ärzte können damit die Erbsubstanz verändern, denn sie greifen in die Struktur der Chromosomen ein, die von Generation zu Generation weitervererbt werden. Damit erzeugen sie möglicherweise Schäden, die sie in keiner Weise überblicken oder auch nur feststellen können, denn diese werden sich erst in späteren Generationen zeigen. Ob sie dann noch reparabel sind, ist nach heutigem Kenntnisstand völlig unklar und damit unwahrscheinlich.

Frankensteins Horrorkabinett

Verboten wird nach diesem Gesetz nur, was unmittelbar an Menschenzucht und Frankensteins Horrorkabinett erinnert: nicht erlaubt wird das Klonen, d.h. die Züchtung identischer Wesen mit gleicher Erbsubstanz, die Geschlechtswahl (mit Ausnahmen, falls damit bestimmte Erbkrankheiten, z.B. die Rot-Grün-Blindheit oder die Bluterkrankheit vermieden werden können) und die Verpflanzung menschlicher Embryonen in Tiere. Es sollen auch keine „Hybriden“ im Labor „erzeugt“ werden; eine Kreuzung zwischen Mensch und Tier gilt als unerwünscht.

In einem Land, in dem Abtreibung unter Strafe steht und Frauen, die es trotzdem tun, als „Mörderinnen“ beschimpft werden, wird die weitestgehende Forschung am Embryo erlaubt. Das erscheint auf den ersten Blick als ein eklatanter Widerspruch. Jedoch geht es auch beim Abtreibungsverbot nicht um den „Schutz des ungeborenen Lebens“, sondern darum, Frauen eine eigene Entscheidung zu verwehren.

Auffallend in dieser Hinsicht ist die Sprache im Gesetzesentwurf zu den Gen- und Reproduktionstechniken: Frauen werden nicht explizid erwähnt, sondern kommen nur noch als „Spenderinnen“, „Empfängerinnen“, „Benutzerinnen“ oder als Hälfte eines Ehepaares vor. Sie werden damit auf der sprachlichen Ebene als Teil des medizinisch technischen Apparates und/oder als Teil eines Paares konstruiert - in beiden Fällen haben Männer die Verfügungs- und Entscheidungsgewalt. Mit einer solchen Sprache verdrängen die Forscher, Ärzte und Politiker auch, daß sie keinesfalls ihren „Forschungsgegenstand“ selbst erzeugen. Im Labor erzeugte Embryonen entstehen immer noch aus Eizellen, die nur durch schwerwiegende Eingriffe in den Körper einer Frau unter die Kontrolle der Forscher und Ärzte gelangen.

Zu vermuten ist, daß Spanien mit einem solch extrem liberalen Gesetz vorprescht, um Zulauf von Forschern, Kapital und Know-How aus anderen Ländern zu bekommen, wo eine restriktivere Gesetzgebung herrscht. Spanien als eines der ärmeren Länder der EG käme es sehr gelegen, wenn eine solche Bewegung aus nördlichen Ländern einsetzte, z.B. aus Holland und aus der Bundesrepublik.

Proteste gegen dieses Vorhaben ihrer Regierung gab es in Spanien bislang nicht. Der Kenntnisstand der Bevölkerung und auch der meisten Parlamentarier über Thematik und Problematik dieses Gesetzes sei gleich Null, meint Gundula Kayser, die in Barcelona als Mitglied von FINRRAGE, dem internationalen feministischen Netzwerk gegen Gen- und Reproduktionstechnologien, arbeitet. In den zwölf Jahren nach Francos Tod konnten offensichtlich all die öffentlichen Diskussionen und Meinungsbildungsprozesse, die während der Diktatur unterdrückt waren, noch nicht nachgeholt werden.

Auch bei den meisten Frauen der spanischen Frauenbewegung stoße das komplizierte Thema nur auf wenig Interesse, so Gundula Kayser. Und die wenigen, die sich damit beschäftigt haben, waren sich nicht einig, ob sie versuchen sollten, das Gesetz zu reformieren, oder ob sie in die fundamentale Opposition gehen. Während so die spanische Gesellschaft in Desinteresse und Orientierungslosigkeit verharrt, können die Sozialdemokraten vorführen, wie man aus einem „zurückgebliebenen“ Land ein Eldorado für die internationale „Elite“ der Gen- und Fortpflanzungstechniker macht.

Weil es bislang noch keine öffentliche Diskussion gab, gelangen auch kleine Protestaktionen schnell in die Medien. Protestschreiben aus der Bundesrepublik gegen dieses Gesetz adressieren an: El Senado espanol, La Plaza de la Marina Espanola s/n, Madrid, Espana.

Zum Zweck der Dokumentation sollen die Protestschreiben auch an FINRRAGE, c/o Gran Via 549-4-1, 08011 Barcelona, Espana, geschickt werden.

Teil IV am nächsten Donnerstag; eine Replik auf Gunhild Schöllers Artikel über die Bundesrepublik: „Alles legal High-Tech im Bauch“