Jesus, der Spaghettiesser

■ Alfred Hrdlicka, immer mal wieder im Gespräch durch seine Attacken gegen die Machtdünkel der Herrschenden, stellt zur Zeit im Gerhard-Marcks-Haus „Religiöses“ aus

Ist es eine Gotteslästerung, Jesus spaghetti-essend darzustellen, während seine Jünger über Tisch und Bänke eine Orgie feiern? Zumindest ist dieses dem italienischen Regisseur Pasolini gewidmeten Bild eines der provokantesten einer Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus, die ebenso schlicht wie untertreibend „Religiöses“ getitelt ist und im übrigen mit provokanten Bibel-und Christusinterpretationen nicht spart: Zeichnungen, Radierungen und Monumentalgemälde des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka (immer mal wieder im Gespräch ist durch seine Attacken gegen Machtdünkel der Herrschenden), in denen Religiöses gleichzeitig auch immer Politisches beinhaltet.

Für Hrdlicka bedeutet Religion nicht allein leeres Bibelwort und hohle Glaubensformel, sondern gelebtes, anfaßbares Leben. Und weil Leben nicht im Geiste, sondern im durchaus prosaischen Fleisch, sprich Körperlichkeit, stattfindet, heißt für Hrdlicka das entscheidende Stichwort Inkarnation.

Ein Begriff, der etwas schönfärberisch meist mit Menschwerdung, genauer aber mit „Fleischwerdung“ übersetzt wird. Ebenso sieht Alfred Hrdlicka in Christus „kein abstraktes Zeichen, sondern die Fleischwerdung Gottes. Das ist für mich die Inkarnation, wenn eine Idee anschaulich wird“, wie er in einem Gespräch mit dem Jesuitenpater Mennecke erklärt, der die Ausstellung im wesentlichen zusammenstellte.

Die Idee, die der vor allem als Bildhauer bekannte Hrdlicka anschaulich macht, ist die des Menschen im Leiden: Christus als Symbol des Märtyriums, Beispiele für menschlichen Schmerz zuhauf, der Körper, fleischgewordener Geist, der anderen Leiden zufügt und selbst immer wieder zum Opfer wird.

Hrdlicka beobachtet Folter und Demütigung, Krankheit und Ag

gression. Sexualität und Gewalt gehören provokant fast immer zusammen.

Die Beispiele, die Hrdlicka in Szene setzt, umfassen die großen politischen Themen wie NS-Terrorismus, Dikatatur oder Studentenrevolte genauso wie private Erlebnisse. Immer wieder aber Folter und Faschismus. Die Serie „Plötzenseer Totentanz“ zeigt an Fleischerhaken aufgehängt die Körper der im letzten Krieg hingerichteten Widerstandskämpfer. Ein Blatt von 1969 bringt „Die Fleischheit des Fleisches“ drastisch auf den Punkt: menschliches Fleisch nur noch zum Zerstückeln.

Im gleichen Jahr entstand „Katholizismus und Masse“, ein deutlicher Angriff auf die Unterdrückungsmechanismen der Kirche.

Religion im persönlichen Bereich: Während seiner Besuche von psychiatrischen Anstalten lernte Hrdlicka eine alte, von Wassersucht aufgedunsene Frau kennen und ihre Hoffnung, daß es Jesus sein werde, der sie von ihrer Krankheit erlöse. In den Zeichnungen und einem beeindruckenden riesigen Gemälde respektiert Hrdlicka ihre Gläubigkeit mit-leidend, doch gleichzeitig in der ihm eigenen Überzeugung, daß es keine Hoffnung gibt.

Obwohl selbst eingeschworener Atheist setzt sich der Künstler seit vielen Jahren mit der Bibel auseineinander, die Ausstellung umfaßt Beispiele von 1959 bis 1988. Was sie so sehenswert macht, ist nicht nur die besondere Interpretation des Bibeltextes, der für Hrdlicka „eine verkürzte Menschheitsgeschichte“ darstellt. Die Blätter und Leinwände weisen Alfred Hrdlicka als Virtuosen seines Fachs aus, sie sind von hohem ästhetischen Anspruch.

Eine Besonderheit in der Bremer Zusammenstellung sind vier 4,50 mal 3 Meter große Leinwände, die sonst nur in Hrdlickas

Atelier zu sehen sind. Frappierend die Souveränität, mit der er große Flächen einfach weiß oder knapp skizziert läßt, weil die entscheidenden Szenen differenziert und aussagekräftig genug sind.

Draußen vor dem Museum ist die Kreuzigungsguppe aufgestellt, für die der 60jährige K ünstler 198O den Bremer Bildhauerpreis erhielt. Sie wurde erweitert durch Reliefs, auf denen unter anderem Polizisten demonstrierende Studenten verhaften. Selten wurde „Religiöses“ so menschennah, ungeschönt und darum glaubhaft dargestellt.

Beate Naß

Gerhard-Marcks-Haus, Di-So, 10-18, Mo geschlossen. Bis zum 15. Januar 1989.