Schlimm, schlimmer...

■ Betr.: "Antisemitismus und die Strategie der Entlastung", "Vom Nachttisch geräumt", "Jung", taz vom 15.11.88

betr.: „Antisemitismus und die Strategie der Entlastung“, „Vom Nachttisch geräumt“ 'Jung‘, taz vom 15.11.88

Kapielski und Droste haben Begriffe, die die industrielle Vernichtung von Menschenleben durch den Nazistaat bezeichnen, zu groben Witzeleien verwendet. Das ist schlimm, und Arno Widmann ist mit Recht dagegen.

In derselben Ausgabe schreibt derselbe Arno Widmann eine Rezension, die dazu auffordert, Einblick zu nehmen und einen Einstieg zu finden in das Denken C.G.Jungs, den er anfangs mit einem feinen Scherz als „Psychoanalytiker mit einem Faible für den Führer“ vorstellt. Das ist schlimmer.

Es mag ja sein, daß Droste und Kapielski und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren, sich mit der Verwendung „schlimmer Wörter“ von der geerbten Mitschuld an den Untaten entlasten wollen, die sie nicht begangen haben. Damit entschuldigen sie aber nicht diese Taten. Widmann dagegen entlastet einen Mitschuldigen und damit alle, die „ein Faible für den Führer“ hatten; er reduziert das Verwerfliche am Faschismus auf den Antisemitismus. Er verschweigt die Affinität zwischen dem Faschismus und Jungs Theorie, ja er verschweigt sogar die antisemitischen Motive, die der Trennung Jungs von Freud gewiß auch zugrunde lagen. Auschwitz, der Holocaust werden bei Widmann zu letztlich unerklärbaren, unnennbaren Tabus, zu erklären einfach durch den Antisemitismus; das ist die Haltung, die die offiziellen Pogrom-Feierlichkeiten so verlogen machte.

Ich will eine taz, in der Wörter wie „gaskammervoll“ und „Euternasie“ nicht vorkommen; ich will aber auch eine taz, in der C.G.Jung, wenn man schon nicht über ihn schweigen kann, nicht als Autor „geradezu inspirierter“ Stellen angespriesen, sondern als Vertreter eines Irrationalismus dargestellt wird, den abzulehnen auch zu einem glaubwürdigen Antifaschismus gehört.

Martin Henkel, Bochum 1